19. August 2014

Der Marius und ich

Letzten Mittwoch stand Marius Müller-Westernhagen vor mir.

Er trug einen schicken Anzug, eine rote Krawatte, hatte das Haar lässig nach hinten gekämmt und lächelte kaum merklich. Ich hingegen war mit Einkaufstüten bepackt, mein Haar war in einen Sommerregen geraten (was eine Katastrophe ist, bei meinen Naturwellen. Wendy Wischmopp sage ich nur) und ich war platt vom langen Arbeitstag und so hungrig, dass ein halbes Schwein mit Nudeln auf gar keinen Fall ausgereicht hätte. 

Mein Hunger ließ mich vermutlich halluzinieren. Marius Müller-Westernhagen stand geschniegelt zwischen lauter alten Möbeln in Düsseldorf rum. Genauer gesagt auf der Fischerstraße, am U-Bahn-Ausgang Cordobastraße. Da fahre ich immer nach Feierabend mehr oder weniger munter mit der Rolltreppe hoch. Nach Feierabend bin ich eine faule Sau. 


Nachdem ich kurz zusammenzuckte, erkannte ich: Dieser Marius war von Pappe. Vielleicht ein aufgeklebter BRAVO-Starschnitt. Der Papp-Marius Müller-Westernhagen (im folgenden, der Bequemlichkeit geschuldet, Marius oder MMW genannt) war Teil des Sperrmülls geworden. Das fand ich bemerkenswert. Da hatte sich einer offenbar  nicht nur seiner alten Möbel, sondern auch seiner musikalischen Vergangenheit entledigt.

Der Marius ist auch ein Teil meiner musikalischen Vergangenheit. Im Hochsauerland beschränkte sich das Kulturprogramm auf Kino-Filme wie Zurück in die Zukunft, Schützenfeste, Theater-AG und zugegeben geile und wohl niemals wiederholbare Abende in meiner Stammdiskothek, dem Rock In. Wir hörten querbeet Peter Gabriel, Mother´s Finest, U2, Bruce Springsteen, Whitesnake, Caroline Mas und eben auch Marius Müller-Westernhagen. Den jedoch erst zu späterer Stunde, wenn der Pilspegel das Mitgröhlen bei Songs wie Mit 18, Dicke und Johnny Walker erleichterte. 

Anfang der 90er Jahre stand ich dann selber in Düsseldorf rum. Das Kultlokal Hühner Hugo hatte gerade für immer die Fritteusen abgeschaltet und blieb viele Jahre ein Immobilien-Leerstand und Schandfleck auf der Bolkerstraße. An den Wochenenden, die ich teilweise im Hochsauerland verbrachte, ging ich manchmal ins Rock In. Von MMW, den wir alle Marius nannten wie einen alten Kumpel, lief Willenlos, das Lied, in dem das Fräulein Meyer vorkommt, Meyer mit y und täglichen zehn Freiern. Was für ne Kon-di-ti-on. Ich fand es damals nur halblustig, auf Tanzflächen bei dieser Liedzeile angesungen zu werden.

Im Juni 1999 hatten wir Tickets für Marius´ Konzert im Rheinstadion. Die "Affentour" sollte die letzte des Musikers sein. Wir waren zu acht und trafen uns nachmittags vor dem Uerige, wo es uns so gut gefiel, dass wir fast nicht mehr rechtzeitig zum Konzertbeginn eintrafen. Wir waren in Stimmung. Wir wollten Sexy, wir wollten Mit 18, wir wollten unsere Feuerzeuge (äh, ich hatte nie eins) zu Freiheit hin- und herschwenken. Marius jedoch sang traurige Lieder, zum Teil in Embryonalhaltung auf dem Bühnenboden. Das Publikum war irritiert und jubelte verhalten, ein paar Pfiffe waren zu hören. MMW war seinerseits irritiert und begann das Publikum zu beschimpfen. "Ich kann nicht glauben, dass ich in Düsseldorf, in meiner Heimatstadt, bin. Was ist denn los mit euch?" Ja, was war los mit uns? Wir wollten tanzen und mitgröhlen und Marius litt (wie ich später in der Zeitung las) unter der schweren Erkrankung seiner Mutter. Das passte nicht.

Erst das Intro von Sexy lies die Zuschauer mitsingen, auf mich sprang den ganzen Abend kein Funke über. Ich war eben kein richtiger Fan, ich wollte in Erinnerung an gute alte Zeiten einfach ein großes Konzert erleben. Beim Verlassen des Stadions hörte ich, wie jemand Marius als arroganten Anzugträger beschimpfte. Früher sei der besser gewesen.

Als ich letzten Mittwoch die Rolltreppe hochfuhr und vor dem Anzugträger stand, da fiel mir das Konzert wieder ein. Die Enttäuschung nach einem lustigen Nachmittag in der Altstadt. Die irren Abende im Rock In, als ich dachte, Liebeskummer wäre das Schlimmste, was einem zustoßen kann. 

Ich war nicht nur hungrig, ich wurde sentimental. 
Und ein bisschen traurig über das Ende von Marius auf dem Sperrmüll.
Das hatte selbst ein arroganter Anzugträger nicht verdient.