22. August 2016

Allein (fast allein) vom Kloster in die Weinstube

Der Innenhof des Klosters St. Mang leert sich.
Das Konzert ist vorbei.

Andreas Kümmert hat Rocket Man als Zugabe nach einem grandiosen neunzigminütigen Auftritt mit seiner Band gespielt, den Song, mit dem er bei The Voice die Jury beeindruckt hat. Ich bin mit mir sehr zufrieden, weil ich an meinem ersten Urlaubstag trotz Müdigkeit den Weg ins abendlich verträumte Füssen eingeschlagen habe. Menschen auf den Straßen, in den Cafés, offene Weinhandlungen, Stimmen, Musik. Jazzfestival, welch glückliche Fügung.


Die Musik ist verklungen. Freundeskreise, angetrunkene Jugendliche, händchenhaltende Pärchen machen sich auf den Nachhauseweg und ich stehe allein in einer der Gassen, die mir noch nicht vertraut sind. Ich bin ja heute erst angereist und tue mir gerade ein bisschen leid. Wenn ich nicht allein und wenn ich mit Freunden oder einem Mann unterwegs wäre, dann würde ich mich noch in eine der wenigen geöffneten Kneipen setzen und die laue Allgäuer Sommernachtsluft genießen. Aber so...mache ich mich auf dem Weg Richtung Taxistand am Bahnhof.

"Entschuldigung, wie spät ischt es?" Ein großer kräftiger Mann steht vor mir. Um einiges jünger als ich. Tapsig.  "Mitternacht", sage ich und versuche, mich zu verdrücken wie Aschenputtel, das dringend noch die Kutsche kriegen muss. Einen Prinzen habe ich beim Konzert im Innenhof des Klosters nicht kennengelernt. Ab und zu lächelte mal einer (mit Prinzessin im Arm) rüber. Ich hatte mich dann auf die Bühne und die wunderbare Musik konzentriert und jetzt brauchte ich ein Taxi.

Der junge Mann, der keine Uhr hat, geht neben mir und erkundigt sich nach einer Kneipe, die ich nicht kenne. "Ich bin neu hier, ich suche ein Taxi zum Hotel."
Fünf Minuten später stehen wir vor einer Weinstube. Der junge Mann hat mich gefragt, ob er mich auf ein Glas Wein einladen darf. "Ja, okay", höre ich mich sagen. Weil der Abend und die beleuchtete Stadt so schön sind.

Da ich keine Bedienung ausmachen kann, frage ich die Gesellschaft, die an den Tischen in der Gasse sitzt, ob es noch etwas zu trinken gibt. Drinnen ist es nämlich ziemlich dunkel. Der Wirt sitzt ebenfalls draußen. Es ist kompliziert mit ihm. Er war heute Abend offenbar selbst sein bester Gast und will die Getränke nicht so recht rausrücken. "Um diese Zeit bedient man sich selbst", sagt ein Herr, der wohl ein Stammgast ist. Ich mag nicht einfach hinter die Theke gehen, das gehört sich doch nicht. Der Stammgast nimmt mich an die Hand und zieht mich hinter sich her ins Innere. Der junge Mann, der mich einladen will, kommt direkt hinterher.

Wir bekommen ein Glas Grauburgunder (hurra) und ein Bier, nehmen an einem Tisch auf der Terrasse Platz und stoßen an.
"I bin der Karl."
"Britta."
"Proscht."
"Danke für den Wein."

Der Junge freut sich und gibt gleich ein bisschen Gas.
"Bischt du allein hier?"
"Ja."
"Lass uns morgen in die Therme in Schwangau gehen."
"Moooment. Wir kennen uns erst fünfzehn Minuten."
"Na und? Es ischt schön do."
"Nein. Ich mache allein Urlaub und will mich erholen und nur machen, was ich will."

Karl scheint ein wenig enttäuscht, er wirkt wie ein schmollendes Riesenbaby. Jetzt hat er in einen Wein investiert und die Eingeladene stellt sich stur. Wir unterhalten uns, ich erzähle ihm, dass ich hier Urlaub mache und aus Düsseldorf komme. Das findet er super, Düsseldorf findet er ganz toll, er war schon mal da.

Am Nachbartisch sitzen drei ältere Herren,  Sie stammen aus der Schweiz, Sie hören Düsseldorf und einer singt "Ach, wärst du doch in Düsseldorf geblieben."

Ich fühle mich gerade ganz wohl in der Füssener Sommernacht.

Wir reden über Zürich und Düsseldorf und der eine sagt:
"Du siehst aus wie die..also, wie die...ja, wie heißt die denn noch mal? Wie die..."
Naaaaaa?
"Jetzt hab ich´s. Du siehst aus wie die Hannelore Kraft."
Ich nehme einen ordentlichen Hub aus meinem Weinglas.

Die Ähnlichkeit mit der von mir durchaus geschätzten NRW-Ministerpräsidentin hat mir eine Bekannte schon einmal bescheinigt. 

Irgendwann hat mir ein Mann gesagt, dass ich aussähe wie Kim Basinger. Irgendwann vor dreißig Jahren.
Da war ich jung, trug gern einen Trenchcoat (mit normaler Kleidung darunter) und mochte meinen Wackelpudding ohne verbundene Augen. Der Mann damals war zugegebenermaßen ein bisschen angedüdelt und wurde später mein Freund.

Was ist zwischen Kim Basinger und Hannelore Kraft passiert? Ach ja, das Altwerden. 

Karl möchte noch einmal darauf hinweisen, wie erholsam ein Besuch der Schwangauer Kristall-Therme ist. 
"Seid ihr zusammen?" fragt der Nachbartisch.
"NEIN!!! Wir kennen uns erst dreißig Minuten!!!" Das sage ich sehr nachdrücklich und laut. Als ich in Karls Gesicht sehe, tut er mir ein bisschen leid. Sooo viele Frauen hat er noch nicht kennengelernt, vermute ich.
"Jetzt hör mal, ich bin zur Zeit einfach platt, ich finde es total nett, dass du mich auf einen Wein eingeladen hast, aber mehr läuft da nicht. Im übrigen könnte ich vom Alter her fast deine Mutter sein."
"I bin sechsendreißick!" 
Hatte ihn auf achtundzwanzig geschätzt.
"Und du bischt doch högschtens fuffzick."
Möööööp. Therme ist jetzt endgültig gestrichen.
"Nicht ganz."
"Neunenvierzick." 
"Nein."
"Achtenvierzick."
Clever, der Karl. Er zählt einfach runter.
"Siebenundvierzig", seufze ich.

Er probiert es weiter.

"Du könntescht mich morgen auf meiner Alm besuchen."
"Karl..."
"Warum denn nicht?"
So langsam kommt mir der Verdacht, ich werde heimlich gefilmt.
Bauer sucht Frau meets Versteckte Kamera.

 "Ich glaube, ich fahre jetzt am besten ins Hotel. Ich bin heute morgen um halb fünf aufgestanden."
"Okay, ich fahre dich."
"Nein."
"Warum denn nicht, du könntest dir das Taxigeld sparen."
"Ich kenne dich überhaupt nicht. Vielleicht wurdest du schon bei Aktenzeichen XY zur Fahndung ausgerufen."
"Bestimmt nicht."
"Das würde ein echter Straftäter auch nicht zugeben." 
Herrje, was rede ich hier eigentlich?

Wir verlassen die Weinstube und verabschieden uns freundlich von den netten Gästen.
Gehen wortlos durch das fast ausgestorbene nächtliche Füssen. Kein Taxi in Sicht, ich rufe mir eines. Vom Karl kriege ich zum Abschied einen schüchternen Handkuss. Kurze Zeit später fährt er mit seinem Auto an mir vorbei und hupt zweimal freundlich.

"Wann bist du eigentlich so eine garstige Zicke geworden, Frau Meyer? (Wenn ich einen distanzierten Blick auf mich brauche, sage ich wie ein Kind zu seiner Grundschullehrerin Frau Meyer und du) Vielleicht wollte der Junge wirklich nur mit dir schwimmen gehen? Der kann doch auch nichts dafür, dass er nicht Viggo Mortensen oder Charly Hübner ist. Frau Meyer, demnächst bist du aber freundlicher zu deinen männlichen Mitmenschen."

Das Taxi kommt und bringt mich zum Hotel am See.
Hotelzimmer aufschließen, Zähneputzen, Bett.
Es ist zwanzig nach eins.
Hannelore Kraft muss jetzt schlafen.

Und ab morgen, ab morgen wird sich richtig erholt.


P.S. Karl heißt natürlich nicht Karl. Er hat einen Apostelnamen, wie es sich für einen ordentlichen bayerischen Mann gehört. :-)



Fotos ©  Britta Meyer


Und hier geht es zum ersten Teil meiner Allgäu-Reise.