7. Juni 2017

Give respect, get respect

Vorgestern auf Facebook.

Ich gucke, was die Facebook-Freunde so gepostet haben, da bleibt mein Blick an einem von einem Bekannten geteilten Foto hängen.

Foto: privat

Sehen Sie ruhig mal genauer hin.
Ein weißes Haus.
Davor eine Wiese.
Männer, die Fotos machen von anderen Männern, die zum Teil nackt auf der Wiese stehen bzw. liegen.

Aufgenommen wurde das Foto offenbar am hellichten Tag in Willingen (Hochsauerland), dem Ort, in dem ich aufgewachsen bin. Und zwar in genau diesem Haus, auf diesem Grundstück. Dort, wo ich meinen Weg zur Schule abgekürzt habe, dort, wo ich im Winter mit meiner Freundin Inga gerodelt bin, da feiern an den Wochenenden mehr oder minder bekleidete, stark alkoholisierte Typen ihren Junggesellenabschied oder ihren Aufstieg in die Kreisliga.

Gefällt mir nicht.

Mir gefällt das nicht, obwohl ich seit 26 Jahren nicht mehr in Willingen lebe und mit dieser Art Tourismus nur bei meinen seltenen Besuchen konfrontiert werde. Dies dann jedoch meistens schon während der Bahnfahrt, spätestens am Dortmunder Hauptbahnhof wird bei einigen das Niveau und der Verstand direkt mal aufs Abstellgleis geschoben und sich während der Reise so dem Alkohol hingegeben, dass man am Willinger Bahngleis beim Verlassen des Zuges nahtlos in den Vierfüßlerstand hinübergleitet. 

Ein Geheimtipp für Partywochenenden, Mannschaftsfahrten und Junggesellenabschiedstouren ist Willingen schon seit Jahren nicht mehr. Bereits Ende der 70er Jahre bot Müller Touristik Kegeltouren in den berühmt-berüchtigten Sauerland Stern an, der inzwischen mehr auf Familienurlaub und Tagungen setzt. Auch damals flanierten mehr oder weniger feuchtfröhliche, teilweise mit Kümmerlingketten dekorierte Trüppchen durch unseren Ort. Benutzte Kondome und Erbrochenes im Beet waren zu jener Zeit aber noch Ausnahmen.

Heutzutage, so bescheinigen es mir Freunde, Familienangehörige und Facebook-User unter dem Foto, das mein Elternhaus zeigt, übernachtet ein Teil der Willingen-Gäste gar nicht im Ort, sie konsumieren noch nicht einmal in der ortsansässigen Gastronomie, sondern reisen für kleines Geld im Bus an und kaufen ihren Alkohol günstig beim Busfahrer oder im Supermarkt. Diese Tagestouris mischen sich unter die Feiernden, liegen besoffen auf dem Bürgersteig, zerstören Beete oder den Basketballkorb der Kinder meiner Freundin, haben Sex in einheimischen Garagen, prügeln sich. 
Weil Alkohol den Übermut fördert. 
Übermut tut bekanntlich selten gut. In diesem Fall den Einheimischen, die gute Gastgeber sein wollen, aber auch ein Recht auf Respekt und Ruhe haben, Und vor allem den Gästen, die länger als nur ein paar Stunden Urlaub in Willingen machen und den Ort des vielfältigen Angebots an Unterhaltung, Gastronomie, Sport und vor allem der schönen Natur wegen schätzen.

Als ich klein war, warb Willingen noch mit "Heilklimatischer Kurort". In unserem Hotelbetrieb machten Familien über mehrere Generationen Urlaub, manche Gäste verbrachten drei oder vier Wochen bei uns und nahmen im Kurmittelhaus medizinische Anwendungen in Anspruch.
In den 80er Jahren nahm der Kururlaub in Willingen, vermutlich im Zusammenhang mit der Gesundheitsreform, immer weniger Stellenwert ein. Der Partyurlaub gewann an Bedeutung, es kamen mehr Gäste, aber für einen kürzeren Aufenthalt und aus einer anderen Motivation heraus. Das Ortsbild veränderte sich, wie ich während meiner Fahrten in die Heimat feststellen konnte. Willingen ging mit der Zeit. Musste es auch. Die Gemeinde bietet seit Jahren neben der Gastronomie für Feierfreudige perfekt organisierte Großevents wie das Weltcup-Skispringen, Bike-Festival, Schlager-Festival und Harley-Treffen an. Ich schaue mir Fotos auf Facebook an und bin fasziniert, was die Willinger jedes Mal auf die Beine stellen. Hut ab!

Umso trauriger, dass es irgendwann einen Zeitpunkt gab, an dem die Situation sich extrem verschlimmert hat, an dem sich in gewissen Kreisen rumgesprochen hat, dass man in einen Ort im Hochsauerland fahren, all sein gutes Benehmen (so vorhanden) zuhause lassen und sich wie eine "offene Hose" benehmen kann. Wenn man denn überhaupt noch eine Hose trägt (siehe oben). Das hat Willingens Image als Urlaubs- und Erholungsort beschädigt, auch wenn die Feierwütigen nur am Wochenende und an Feiertagen anreisen. 
Es gibt Parallelen zu Goethes Zauberlehrling. "Die ich rief, die Geister, werd´ ich nun nicht los". Und die, die einfach nur anständig (!) feiern, tanzen, flirten, trinken und vielleicht sogar den Ort Willingen erkunden möchten, werden vielleicht mit denen, die herum randalieren, über einen Kamm geschoren. Auch hier muss man genauer hinsehen. 

Ein Bogen, der überspannt wird, reißt irgendwann. 

Genauso verhält es sich mit den Nerven vieler Freunde und Bekannter, die in Willingen leben.
Auch einige Gastronomen haben die Nase voll von Gästen, die sich nicht benehmen können.
Give respect, get respect lautet der Slogan einer Initiative Gastronomie und Respekt, eine knackige englische Ansage, die Kurzform von "Wie du kommst gegangen, so wirst du empfangen". Traurig genug, dass man sich als Gastgeber Respekt erbitten muss...


Logo der Initiative "Gastronomie und Respekt"

Eventuell ist bald eine Änderung in Sicht.

Ab dem 01. Juli tritt eine neue Gefahrenabwehrverordnung in Kraft, die dann hoffentlich diejenigen, die mit Megaphonen Parolen durch den Ort brüllen, an Häuserwände urinieren, ihren Müll in Kuranlagen und auf Privatgrundstücken verteilen, jedermann ihren Piephahn präsentieren etc. zur Räson bringen werden.

Man darf gespannt sein!

Ich bin übrigens auch gespannt auf Eure Meinung und freue mich über Kommentare zu diesem Thema.