9. Oktober 2017

Nicht ohne meinen Helm


„So. Jetzt brauche ich noch deine Größe und dein Gewicht.“
Das geht ja gut los.

Jetzt soll ich auch noch vor allen Kursteilnehmern, vorwiegend männlichen, mein Gewicht nennen. Und lügen kann ich ja nicht, sonst ordnet mir Reinhold den falschen Gleitschirm zu. 

„Mein Gewicht? Das hat mir keiner gesagt. Ich gehe!“

Witzchen machen, kurz vor halb 9 in Deutschland, lenkt leider nicht vom Thema ab. „Ich bin 1 Meter 75 groß und (Pause) wiege (Pause) *husträusperhust* Kilo.“

Der Mann, der mein Gewicht überhustet, ist mein Freund. Der hat mir das alles eingebrockt.

Einen Paragliding-Schnupperkurs in Willingen. Weil ich doch die Gleitschirmflieger in unserem Sommerurlaub in Oberstdorf so toll fand. Nicht mitfliegen, sondern es selber versuchen. Vermutlich ließ mich der Gedanke, meinem Partner meinen Heimatort zeigen zu können, die Aussicht auf ein Wiedersehen mit der lieben Verwandtschaft und Waffeln von Tante Hedwig JA zu diesem Projekt sagen.

Und jetzt sitze ich hier mit circa zwölf Teilnehmern in den Räumen der Gleitschirm-Flugschule Sauerland und bekomme in einer kurzen theoretischen Einführung etwas über Wetter und Sicherheit erzählt und sehe mich einen Haftungsausschluss unterschreiben, in welchem ich verspreche, den Anweisungen des Fluglehrers Folge zu leisten. Was Sinn macht, wie sich später herausstellen soll.

Ich bekomme einen Gurt, einen Schirm und einen Helm zugeteilt. Schon wieder einen Helm.

Wenn mir heute vor einem Jahr jemand erzählt hätte, dass ich an Events teilnehmen werde, die das Tragen eines Helm erfordern, hätte ich diesem Jemand einen Vogel gezeigt. 

Erst Anfang September hatte ich anlässlich des Geburtstages meines Freundes einen Helm tragen müssen, denn ich hatte ihm Ultra Rafting auf der Erft bei Neuss mit querfeldeins geschenkt. Eine kleine Revanche für den bereits gebuchten Gleitschirm-Schnupperkurs.

Action konnte ich auch. Ha!


Unternehmungslustig, so kann der Herrn an meiner Seite wohl beschrieben werden. 

Wir kannten uns kaum näher, da schlug er einen gemeinsamen Tanzkurs vor. Kein Tango oder Salsa, einfach einen Tanzkurs mit Discofox und Walzer. Fünfundneunzig Prozent aller Frauen wären wohl direkt in Jubel ausgebrochen über einen Mann, der freiwillig und ohne Androhung von Waffengewalt seine rudimentären Tanzkenntnisse auffrischen will.

Ich geriet in Panik.

Wer weiß zu Beginn einer Beziehung schon, wie lang diese halten wird. So ein Tanzkurs dauert schließlich mehrere Wochen oder Monate.Und überhaupt!

Also sagte ich NEIN zum Tanzkurs.
Rück-zwei-cha-cha-cha.
Ohne mich.

Monate später kam ich zu dem Schluss: Der neue Mann und ich funktionieren gut miteinander, auch was die Aktivitäten, wie (festhalten!) Fitness und Wandern anging. Der Wanderurlaub im Allgäu war wunderbar, wenn auch teilweise eine Herausforderung, bei der das Tragen eines Helms ratsam gewesen wäre.

 
Wir genossen einen Abend bei Sonnenuntergang an der Nebelhornstation Höfatsblick, schauten auf die zahlreichen bunten Gleitschirme am Himmel und ich sprach nach einigen Schlucken Weißbier die schicksalshaften Worte „Das möchte ich auch mal machen“.

Letztes Wochenende machen wir. 

Nicht aus 1.800 Metern Höhe, sondern von hochsauerländischen Hügeln, die von unten machbar und von oben steiler als gedacht wirken. Der Morgennebel steigt auf und Fluglehrer Reinhold erklärt uns, das wir an der Farbe der Felder erkennen können, wie die Temperaturen steigen und mehr Sonnenlicht im Laufe des Vormittags bedeutet – richtig – Thermik.

Das Konzept des Unterrichts, learning by doing und zwischendurch ein wenig nützliche Theorie, gefällt mir. Genauso wie das Starten und Fliegen, das ich – ohne überheblich erscheinen zu wollen – richtig gut hinbekomme. Ich folge den Anweisungen meines Fluglehrers. „Hände höher, links tiefer, rechts auch, so bleiben, schööööön, genieß den Flug."

Mach ich. Bis es auf die Landung zugeht. Die Ansage durch das Funkgerät lautet: „Tiiiiiiiiiiiiief“. Den Vokal zieht er sehr lang. Und bei mir besonders lang. Weil: Mein Kopf hört, was Reinhold will, aber mein Herz ist ´ne Bangbüx.

Anstatt die Beine lang zu lassen und in der Luft schon einmal eine Laufbewegung vor der Landung zu machen, ziehe ich reflexartig die Knie hoch und somit geht mir – wortwörtlich – der Arsch auf Grund(eis). Dass ich in drei, vier Metern Höhe meine Bremse ziehen soll, macht mir Angst. Was, wenn ich wie ein Stein auf den Boden sause? „Kann nicht“, erklärt mir Reinholds Kollege Dirk, „der Schirm bremst dich doch.“ 

Reinhold, der Schirm und ich
 
Um mit Goethe zu sprechen: Die Botschaft hör´ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Rennen, Schirm hochziehen, abheben, Beine hängen lassen, schweben, Aussicht genießen, alles super, bis die Message kommt: „Dirk übernimmt die Landung.“ Die Anweisungen werden lauter und rüder. Puderzucker und Streicheleinheiten gibt es nicht, aber wer nicht hören will…schließlich geht es um meine Sicherheit.

Das Gleitschirm-Wochenende ist ein besonderes Erlebnis, schweißtreibend und großartig. Mein Freund fantasiert den Kompaktkurs und A-Schein herbei und überlegt, wo er den Schirm demnächst verstaut. 

Das geht mir zu weit! 
Ich hab geschnuppert, das war toll, doch zum aktuellen Zeitraum reicht es mir erst einmal an Action.

Stattdessen überlege ich, ob ich meinen Liebsten zu einer etwas gediegeneren Tätigkeit überreden kann.

Einem Tanzkurs zum Beispiel.

Discofox, Walzer, Rück-zwei-cha-cha-cha.

Das wär´s doch. :-)





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