"Guten Morgen".
Am fünften Tag meines Allgäu-Urlaubs werde ich von einigen Gästen zum Frühstück freundlich begrüßt. Die ersten Tage verspürte ich meine Person betreffend einen leisen Argwohn. Inzwischen hat man wohl bemerkt, dass ich einfach alleine Urlaub mache. Auch der weibliche Teil des Pärchens, das meistens zeitgleich mit mir frühstückt, hat verstanden, dass es nicht mein Plan ist, ihrem Gatten bei nächstbester Gelegenheit das atmungsaktive Hemd vom Leib zu reißen.
Sie scheint der dominante Part der Ehegemeinschaft zu sein, sie beginnt die Tagesplanung mit "Ich habe mir überlegt, wir könnten...", er willigt immer ein. Ich nenne die beiden klammheimlich Martina und Moritz, wie das Köche-Ehepaar aus dem Fernsehen. Martina trägt lustige Ohrringe und gibt Moritz, dem Lustige-Brillen-Träger, gerne Anweisungen. Manchmal kriegt er auch einen drüber ("viel zu wenig Pfeffer, da muss noch mehr Pfeffer rein"). Aber vielleicht wirkt das auf mich auch nur so, sie scheinen sich miteinander wohlzufühlen und kochen können sie auch hervorragend. Das ist es, was zählt.
Zurück ins Hotel:
Ich bin immer noch die einzige Alleinreisende. Was mich nicht stört, vor allem muss ich keine Tagesplanungen abnicken, die bestimme ich selbst und nur für mich. Har. Abends allein zu essen, ist allerdings nicht so angenehm. Hier wird wunderbar gekocht, ich genieße das Essen so sehr und hätte noch mehr Freude, wenn dieses mit etwas Konversation garniert wäre. Mehr als ein paar Smalltalks mit dem Nachbartisch sind nicht drin. Ich bin einmal mehr froh über mein Smartphone und die Broschüren über Rad- und Wanderrouten, in denen ich blättern kann. Das Lesen eines solchen Kartenmaterials zählt definitiv nicht zu meinen Stärken, wie eine Radtour am zweiten Urlaubstag bewies.
Ich war mit meinem Leihfahrrad von Füssen nach Hopfen am See gefahren und hatte mich dort bei einem sehr großen Stück Apfel-Mohn-Sahne-Kuchen mit Damen, die eine Tagestour mit dem Bus unternahmen, unterhalten. Die geschiedenen und verwitweten Frauen aus Reutlingen priesen meinen Alleineurlaub als geradezu heroische Tat. Physisch und psychisch gestärkt setzte ich meine Tour fort und fuhr in den Hopfener Wald, immer tiefer hinein. Die Ortsnamen auf den Schildern sagten mir gar nichts, ich war ja noch neu in dieser Region. Ich drehte meine Karte in alle Richtungen, versuchte auszumachen, wo ich mich befand. Ohne Erfolg. Instinktiv fuhr ich nach oben, von dort aus musste es ja irgendwie Richtung Forggensee und Füssen gehen. Ich fuhr, bis die Zunge auf den Knien hing, dann schob ich. Hier war kein Mensch weit und breit. Nur ein Hochsitz, Bäume, Farne, Schotterwege, zwitschernde Vögel und ich. Es fing an zu regnen.
Jahrzehntelanger Aktenzeichen XY-Konsum regte meine Fantasie unnötig an, und ich sah mich Wochen später als unappetitlichen Fund eifriger Pilzesammler im Gebüsch liegen. Wahrscheinlich winkte ich deshalb so wild wie eine Schiffbrüchige, als ich einem verwirrten Forstmitarbeiter vor dessen Traktor sprang. "Wo geht´s denn hier zum Forggensee?" Der junge Mann überlegte ziemlich lange und erklärte, dass ich am besten weiter hinauf (och, nö) und dann rechts und wieder rechts fahren müsse.
Irgendwann ging es dann nur noch bergab, vorbei an einer Lichtung mit zauberhaften Rehen, die malmend und verwundert der verschwitzten preußischen Touristin hinterher sahen. Dann erblickte ich das Ortsschild Rieden. Rieden am Forggensee. Der See, mein See. Zivilisation, endlich! Rotgesichtig und sehr erleichtert machte ich eine Pause mit Selfie-Stop am Ufer des Sees.