25. März 2014

Das Helga-Projekt




Kurz nach Feierabend erzählt mir meine Kollegin Helga, dass ihr irgend so ein Bradley Dingenskirchen auf Facebook eine Freundschaftsanfrage geschickt hat. "Ich kenne den gar nicht." - "Wieso kontaktiert der dich dann? Spielt der Criminal Case?" Auf die Idee komme ich, weil meine andere Kollegin dauernd Freundschaftsanfragen erhält, seit sie Criminal Case spielt. "Nein, ich spiele das nicht." - "Merkwürdig."

Ich schaue ihr über die Schulter. Dieser Bradley sieht ganz sympathisch aus, kurze Haare, schlank, ist vermutlich Brite oder Amerikaner. Sein violettes Hemd glänzt ein bisschen viel, aber sonst. "Willst du den denn als Facebook-Freund?" - "Nein. Der Mann macht mir Angst, guck mal hier." Helga deutet auf die Freunde, die Bradley bisher über Facebook erworben hat. Es sind Freundinnen (Freunde hat er keine), um genau zu sein 17 Freundinnen. Alle heißen Helga.

"Das ist doch ein Witz." Ich muss noch einmal hingucken. 17 Helgas, alle unterschiedlichen Alters und Aussehens. Die müssen Bradleys Anfrage angenommen haben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Freundschaftsanfragen von den Helgas an Bradley Dingenskirchen gerichtet worden sind.

"Gruselig. Wieso hat der nur Freundinnen, die Helga heißen?"
"Hm. Vielleicht hieß seine Mutter so und sie hatten eine sehr enge Bindung? Oder er hat seine Mutter gehasst und will alle Helgas vernichten. Hilfe." 

Sogleich habe ich die Idee für einen Psychothriller. Bradley wird als Kind von seiner Mutter verlassen, nein, besser noch in einem Keller festgehalten. Erst als sie stirbt, wird er entdeckt. Er ist klug, seine Mutter Helga hat ihn unterrichtet, misstraut jedoch dem Leben und allen Menschen draußen vor seinem Elternhaus. Als er sich in seine Psychotherapeutin verliebt, weist diese ihn ab. Nach dem Tod seiner Mutter und dieser Abweisung fühlt sich Bradley allein. Er zieht in eine Souterrainwohnung, die von der Einrichtung her seiner früheren Kellerwohnung frappierend ähnelt und geht auf die Suche nach einer Helga. Die Anonymität des Internets nutzend, schreibt er in Facebook irgendwelche Helgas an. Und weil er recht attraktiv und es Frauen gibt, die sich über diese virtuelle Aufmerksamkeit freuen, kann Bradley seine Kontakte ausbauen. Auf seine Nachricht, dass er sich über ein persönliches Kennenlernen über alle Maßen freuen würde, antwortet Helga aus Cottbus. Eines Tages entdeckt ein Angler am Ufer der Spree eine Leiche...

"Bestätige die Freundschaftsanfrage nicht", bitte ich Helga. "Der Mann hat eindeutig einen Knall. Entweder ist er ein Psychopath oder ein Künstler, der Helga-Freundinnen für ein Projekt sammelt. Das Helga-Projekt."

Wir fahren unsere PCs runter, schließen die Bürotür ab und wünschen uns einen schönen Feierabend. 

Bradley. 
Bradley Dingenskirchen. 
Vielleicht sollte ich den mal anschreiben und fragen, was das Ganze soll.
Eventuell morgen.