"Das Wochenende bei Mama war so schön, das leckere Essen, die Spaziergänge, die Radtour, das Schwimmen, jetzt nur noch mal eben mit dem Zug zurück nach Düsseldorf.". Wenn ich so etwas denke, dann müsste eigentlich sofort ein kleiner Gummihammer auf meinen Kopf niedersausen und eine Stimme aus dem Off verlautbaren: "Frau Meyer, du bist doch nun wirklich oft genug mit der Bahn gefahren und kannst unmöglich so naiv sein."
Die Uhr auf meinem Smartphone zeigt 15:42 an. 15:26 sollte mein ICE fahren.
ICE gönne ich mir nicht oft, nur wenn er - wie in diesem Fall - tatsächlich günstiger ist als der Regionalbummelzug. Und weil er so günstig war, der ICE, reserviere ich mir außerdem einen kostenpflichtigen Sitzplatz. Auf Gleis 1 des Bahnhofes Lippstadt erscheinen weder der Schnellzug noch der Sitzplatz. Kurz befürchte ich, dass ich vor lauter Smartphoneglotzerei den Zug verpasst habe und frage einen Mann mit Zigarette und einer Dose Bier, ob er weiß, was mit dem ICE los ist. "Der um kurz vor halb hier sein sollte?" Ich nicke. "Der fällt aus. Stand da gerade." Er zeigt auf die Anzeige. Da wird nun der Regionalexpress angeschlagen, den ich nicht nehmen wollte, weil er unkomfortabler ist und das Ticket teurer war.
Ich mag mich nicht aufregen. Mein Vorsatz für den Sommer ist ja: Nicht mehr so viel aufregen. Zen-Buddhistin werden. Alles weglächeln. Das Leben ist zu kurz und wertvoll für trübe Gedanken. Hauptsache, ich sitze im Zug Richtung Düsseldorf. Nachdem mir am Gleis die Sonne auf mein Hirn gebrutzelt hat (nee, nee, ich reg mich nicht auf darüber, wäre ja noch schöner, erst meckern, dass es dauernd regnet, und wenn die Sonne scheint rumjammern), freue ich mich über eine leichte Kühle im Großraumwagen und höre, wie ein Reisender zu einem anderen Reisenden sagt: "Schön, dass die Klimaanlage wieder funktioniert, gerade tat sie es nicht." Na, wunderbar
In Hamm steigen einige Leute zu. Es wird voll. Und warm. Die Klimaanlage hatte in Soest keine Lust mehr zu funktionieren. Die will ja auch mal Wochenende haben. Kurz vor Kamen bleibt der Zug mitten auf der Strecke stehen. Ich schaue nach rechts auf ein Feld, auf dem sich ganze Familien nach saftigen roten Erdbeeren bücken. Der Regionalexpress ruckelt ein bisschen vorwärts und bleibt wieder stehen. Hach ja, was soll es, dann lese ich eben in meinem Buch. Langsam fährt der Zug weiter. Zwei Jugendliche, ich tippe auf Nordafrikaner, lästern ein bisschen. "Die Deutsche Bahn. Wie viele Stundenkilometer fahren wir gerade, was denkst du, Alter?" "Vierzig, höchstens fünfzig. Ist das warm, ey. In Marokko kann man wenigstens die Fenster im Zug öffnen, Mann."
In Kamen steigt ein Pärchen zu. Der Mann ist ziemlich groß und setzt sich auf den Platz, der meinem gegenüber liegt. Wir wissen beide nicht, wohin mit den Beinen, würde ich regelmäßig zum Yoga gehen, könnte ich meine im Nacken verschränken. Aber so.
Meinen Platz wechseln mag ich nicht, weil ich eine 1a-Unterbringungsmöglichkeit für meine Reisetasche gefunden habe, die ich von hier aus im Auge behalten kann. Mein männliches Gegenüber und ich setzen uns schräg und stellen unsere Beine unbequem nebeneinander. Den Mann stört es offenbar nicht, er küsst mehrfach seine Frau. Bei der Hitze!
In Dortmund wird der Zug noch voller. Zwei hochgewachsene bildschöne schwarze Frauen stehen im Gang und beschweren sich in lupenreinem Ruhrpottdeutsch über die Wärme im Großraumwagen. "Meine Güte, is dat heiß und muffich hier. Dat is ja nich zum Aushalten. So viel zu Deutsche Bahn, ne? Bei uns in Afrika gibt et wenichstens Ventilatoren in den Zügen." Gerade will ich anfangen, mich für die Deutsche Bahn zu schämen, da ertönt Musik hinter mir. Eine dieser 3-Mann-Combos mit goldbezahnten fröhlichen Herren, die ein Potpourri verschiedener, für mich nicht unter einen Hut zu bringender Weisen darbieten.
Oh, when the Saints go marchin´in geht nahtlos über in den Ententanz.
Ich bekomme einen nervösen Lachkrampf, weil neulich in Polen das einheimische Unterhaltungsduo auch den Ententanz angestimmt hatte. Da braucht man Jahrzehnte, um dieses Musikstück erfolgreich zu verdrängen und dann hört man es unter verwirrenden Umständen zweimal in zwei Monaten.
Ich schnaufe. Diese Zugsauna macht mich fertig. Bin mir nicht sicher, ob die flotte Zugband uns nun alle erfrischen möchte. Sie spielt Jingle Bells.
Jingle Bells im Juni.
Ich stehe kurz vor einem Zusammenbruch, als einer der Musiker mir einen Hut unter die Nase hält. Nein, ich gebe nichts. Mein Körper ist inzwischen von einem klebrigen Schweißfilm überzogen, das Kleingeld würde mir aus den Händen flitschen. Kurze Zeit später bewegt sich ein Mann durch den Wagon, der laut wehklagt, dass er Hilfe braucht. Er benötigt nur noch 2,20 Euro, um sich eine Fahrkarte kaufen zu können. Ich höre, wie Leute Kleingeld sammeln, davon aber wohl nicht genug, denn die 2,20 Euro-Geschichte für ein Ticket erzählt er auch im nächsten Wagen. Mir egal, mir ist es einfach nur warm, ich habe einen schrecklichen Durst und das Gefühl, in meiner Skinny Jeans eine Thrombose zu bekommen.
Könnte heulen.
Eine Stunde später als geplant steige ich am Hauptbahnhof aus der Zugsauna (ohne Minzaufguss, aber mit Musik) aus und bin fix und fertig. Ich möchte fast den Boden meiner Pempelforter U-Bahn-Station küssen, so sehr freue ich mich, endlich daheim zu sein.
Okay, die Rolltreppe funktioniert nicht.
Ich sehe, wie jemand aus dem gläsernen Fahrstuhl steigt.
Gute Idee, ich nehme den Fahrstuhl. Halte natürlich dem asiatischen Pärchen, das mit mir nach oben fahren will, die Tür auf. Wir drücken die 1. Nichts passiert. Wir drücken den Tür zu-Knopf. Nichts passiert. Wir drücken noch einmal die 1.
"It´s not working?" fragt der asiatische Mann.
"Obviously not", knurre ich.
Wir verlassen den Fahrstuhl, das Pärchen geht auf die Rolltreppe zu.
"It´s not working either", rufe ich. "It´s not working, because we are in Germany."
Die Asiaten schauen mir bestimmt sehr erstaunt hinterher, als ich wütend die Treppe mit meiner Reisetasche hochstapfe.
Das ist doch gemein vom Leben, dass es mich mit solch einer doofen Zugreise provoziert, wo ich gerade dabei bin, alles relaxter sehen zu wollen und mich nicht mehr verrückt zu machen.
Frau Meyer formerly known as Sommer-Zen-Buddhistin schließt die Wohnungstür auf und wirft ihre Reisetasche in die Ecke.
Das mit dem Ärger Weglächeln übt sie noch.
Morgen.