1. März 2014

Der Kaffee schmeckt nach Lamm





Ich habe Bronchitis und liege seit Tagen flach. Mein Husten muss erbarmungswürdig klingen, mein Teint alpinaweiß erscheinen, denn plötzlich sagte mein Freund, und zwar ohne jegliche Aufforderung meinerseits: "Morgen koche ich für dich. Ich mache diesen Spinat-Hack-Auflauf."

Dieser Spinat-Hack-Auflauf wird mir schon seit gefühlten drei Jahren versprochen. Dieser Spinat-Hack-Auflauf hat Geschichte. Er ist Teil der Lebensgeschichte meines Lebens- gefährten. Dieser Spinat-Hack-Auflauf ist legendär. Reiner fuhr damals an den Wochen- enden Taxi in Mönchengladbach, um sich sein Studentenleben in Köln zu finanzieren. Seine Schicht begann am späten Nachmittag, und irgendwann gegen 22 Uhr begann der Magen zu knurren. Alleine essen machte nicht so viel Spaß, also kontaktierte Reiner seinen Kollegen Wolfgang, und zwar über den Taxifunk. Handys gab es noch nicht. "Die 13, jetzt?" "Die 1, lieber halb 11" "Okay, bis gleich." Die Dame aus der Funkzentrale fand das nicht lustig, die Konversation störte den Funkbetrieb. "Die 1 und die 13, isset jetzt gut? Habtert bald?" Sie hatte sicher ein Schnittchen am Arbeitsplatz und von daher wenig Verständnis für die hungrigen Studenten, die sich später in der
Kervanseray trafen und für 6 Mark fünfzig einen türkischen Spinat-Hack-Auflauf bestellten. Die Pause ging vom Verdienst ab, klar, war aber wichtig.

Der Auflauf muss außergewöhnlich gut gewesen sein, sooft wie mir mein Freund davon erzählte. "Ich mache den bald mal für uns." Bald war also gestern. Erst wurde im türkischen Supermarkt eingekauft. Beim Hack wurde gemeinsam mit dem Verkäufer gegrübelt. Mit Lamm oder ohne. Ich gebe es ehrlich zu, dass ich Lamm nur sehr selten mag und wenn dann gern in Form eines Filets. Aufgrund der geschmacklichen Authentizität entschieden wir uns für 300 g Rind- und 200 g Lammhack. Der Kochprozess war ziemlich entspannt, ich intervenierte nicht, als der Koch kräftig auf die Harissa-Tube drückte, obwohl ich ahnte, dass die Paste das Gericht sehr pikant machen würde. "Bitte guck Sportschau und ruf mich, wenn sie Gladbach zeigen." Die Zutaten des Auflaufs wurden in hübsche kleine Auflauf- formen geschichtet, eigens mitgebracht vom Freund, weiß mit dünnem blauen Rand. Friesisch, meinte der Koch. Griechisch, meinte ich.

Umso neugieriger war ich, als der Spinat-Hack-Auflauf im friesisch-griechischen Geschirr serviert wurde. Sah toll aus und roch authentisch, also stark nach Lamm. Überhaupt die ganze Wohnung roch nach dem gebratenen Lammhack. Eine Spannung lag neben dem Lammhackduft in der Luft. Würde der Auflauf wenigstens so ähnlich schmecken wie in der Kervanseray? Würde die Schärfe uns die Tränen in die Augen treiben? Für einen Perfek- tionisten wie meinen Partner bedeutete der Griff zur Gabel mehr als ein bloßes Probieren. Es bedeutete Mann oder Memme, Dilettant oder Genie, es bedeutete vielleicht die Ent- weihung einer Jugenderinnerung, es bedeutete alles. Oder nichts. Sein Gesichtsausdruck nach dem ersten Probieren war wie immer mystisch. Er schaute zunächst ausdruckslos, presste die Lippen zusammen und kaute seeeehr langsam. Dann wiegte er den Kopf hin und her und sagt: "Jo." Das macht er im übrigen auch, wenn er Sachen kostet, die ich gekocht habe. Inzwischen habe ich gelernt, tief durchzuatmen, selber zu probieren und selber festzustellen, ob es schmeckt oder nicht, statt an des Meisters Lippen zu kleben und das Urteil abzuwarten wie ein Sklave das des Kaisers im Circus Maximus.

"Jo." Er kaute weiter. "Ist gar nicht so scha...harf." Die Schärfe setzte nämlich erst ein wenig später ein. Mir schmeckte der Auflauf so, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Also scharf und nach Lamm. Reiner überlegte laut, ob der Auflauf damals nicht doch nur mit Rindfleisch und überhaupt, vielleicht sogar mit Gouda überbacken war. "Spinat war aber drin?" fragte ich. Mein Koch, mein Freund wurde immer ruhiger. Er tat mir leid, denn ich wusste, sein Perfektionismus machte ihm gerade einen Strich durch die Rechnung. "Ich bin satt", stöhnte er. "Dieses Lammhack ist schon ziemlich streng, findest du nicht? Lamm- koteletts schmecken nicht so." "Lammfilets auch nicht", antwortete ich. Er: "Ich könnte mich da reinsteigern."

"Ouzo?" fragte ich. Raki war keiner da, und ich pfiff auf die Authentizität. "Oh ja, bitte." Wir tranken unseren großzügig eingeschenkten Ouzo. Der Lammhackgeschmack blieb. "Noch einen?" "Oh ja, bitte." Der Lammhackgeschmack wich immer noch nicht. Nach dem dritten Ouzo schwante mir langsam, woher der Ausdruck HACKendicht kam. Es war mir egal, wie der Anisschnaps mit meinen Medikamenten kollidierte.


 "Ich schmecke das Lammhack immer noch."
 "Ja, fies."
 "Meine Finger riechen nach Lamm."
 "Wasch dir bitte die Hände." 

Im Bett schmatzten wir vor uns hin, Zähneputzen hatte nichts gebracht. 
"Ich wollte morgen Abend Lachs machen." 
"Kann ich mir jetzt nicht vorstellen." 
"Ich mir auch nicht, der wird eingefroren." 
"Vielleicht sollte man überhaupt auf vegetarische Ernährung umstellen." 
Ich klopfte auf den Umschlag des Ernährungsberatungsbuches, das ich gerade lese. 
"Hier steht sowieso drin, dass tierische Eiweiße total übersäuern." 
"Ach so." 
"Ich bin knülle."
 "Ich auch." 
"Gute Nacht."

Heute Morgen hatte ich beim Erwachen immer noch diesen Geschmack von diesem Lammhack-Auflauf im Mund. Ich holte Kaffee ans Bett. Der Kaffee schmeckte nach Lamm. Die ganze Wohnung roch nach Lamm. Ich sprühte ein wenig domol Raumspray Limone. "Besser?" 

"Jetzt riecht es nach domol Lammhack."





Ich schlug vor, an die frische Luft zu gehen. Und als ich mich gerade anziehen wollte, sah ich, dass es regnete.

Lammhackregen.