1. Oktober 2015

Bei aller Liebe...


Philipp Holstein, Kulturredakteur bei der Rheinischen Post, interviewt Axel Hacke, Journalist und Autor der Süddeutschen Zeitung. Zwei, auch im physischen Sinn, große Männer sitzen in Ledersesseln auf der Bühne des Düsseldorfer Kulturzentrums ZAKK und unterhalten sich über das Schreiben.

Seit 25 Jahren schreibt Axel Hacke seine Kolumnen für das SZ Magazin, über 1001 sind entstanden und die sind jetzt in einem Buch mit dem Titel "Das kolumnistische Manifest" herausgegeben worden. Und dieses Manifest und die Tatsache, dass Axel Hacke daraus liest, ist der Grund, warum meine Freunde und ich hier im Publikum sitzen. Wem die Ehre gebührte, zur Feier der 500. Kolumne einen seiner Texte von Loriot höchstpersönlich vorgelesen zu bekommen, dem gebührt diese Ehre zu Recht. Wir fühlen uns bestens unter- halten, es fließen einige Lachtränen und ich hätte mir bei der Jesus Beuys-Geschichte fast auf die Schenkel geklopft, wenn Axel Hacke vorher nicht erzählt hätte, dass seine Geschichten nicht dazu geschrieben seien, sich auf die Schenkel zu klopfen.

Wir sind guter Laune, auch wenn wir unseren Pausenwein aus Plastikbechern trinken müssen. Wir waren schon im Eingangsbereich guter Laune, als wir noch Schlange standen und diesen Hinweiszettel entdeckten


Der zweite Teil der Lesung beginnt erneut mit einem Gespräch. Philipp Holstein fragt Axel Hacke: "Es gibt ja immer mehr Menschen, die Blogs betreiben und Ihre Geschichten in Blogs veröffentlichen. Was halten Sie davon?" Die Antwort Hackes lässt länger auf sich warten. Aber vielleicht fühlt sich das für mich auch nur so an. Ich klebe an des Meisters Lippen, obwohl ich ahne, was kommt. "Bei aller Liebe....".

Nach "Bei aller Liebe..." folgt ein ABER.

"Bei aller Liebe, aber das kannst du zu dem Anlass nicht anziehen"
"Bei aller Liebe, aber das musst du noch einmal ordentlicher schreiben."

Und ich frage mich, warum man die Liebe erwähnt, dieses große Gefühl, wenn nichts Liebes gemeint ist. Im Gegenteil. Das Hirn des Zuhörers wird ausgetrickst. Er hört Liebe, freut sich und bekommt gleich etwas Despektierliches hinterhergeschoben. Gemein eigentlich. Bei aller Liebe. Da kommen mir Szenen mit Maggie Smith in Downton Abbey in den Sinn, in denen sie sich Luft zufächert und empört. Noch nie habe ich mir Gedanken um diese Redewendung gemacht. Bis vorgestern Abend, als ich im ZAKK sitze und Axel Hacke zuhöre.

"Bei aller Liebe, aber Texte von Bloggern sind nicht zu vergleichen mit denen von Journalisten und Autoren, die studiert und ihren Beruf über viele, viele Jahre gelernt haben."

Es klingt ein bisschen von oben herab und die Tatsache, dass der Autor auch noch oben auf der Bühne sitzt, verstärkt meinen Eindruck. Hacke bemerkt es offenbar selbst, denn er schiebt ein "Oh, klingt das jetzt wenig wertschätzend?" Ich murmele "Ja", aber so, dass es keiner hört. Auf mich hört ja sowieso keiner.

Ich weiß, was Axel Hacke meint. Von der Pike auf und so.
Möchte nicht wissen, wie oft er beim Bücher signieren zu hören kriegt "Ich schreibe ja auch." Das klingt so nach Partygespräch ("Meine Frau malt jetzt Aquarelle", "Meine Schwägerin hat gerade ihren zwanzigteiligen Zyklus über ihre Wechseljahre beendet") und hebt einen unverschämterweise auf die Ebene des erfolgreichen Autoren. Wo sind wir denn hier?

Ich schreibe ja "nur so nebenbei", wie ich gern in Gesprächen einwerfe.
Hauptberuflich bin ich Reiseverkehrskauffrau, auch von der Pike auf, und rümpfe gern einmal die Nase über die Call Center-Mäuschen, die in einem 4-Wochen-Crashkurs lernen, wie Reisen verkauft werden. Wo Kota Kinabalu liegt, kann man ja googlen.

Bei aller Liebe, aber unsereins musste vor 25 Jahren Grenzübergänge der Bahn lernen, als es noch Grenzen in Europa gab, und 3-Letter-Codes aller wichtigen Flughäfen, Ticketmeilen berechnen, Aufsätze über den Schwarzwald, Kalifornien und Thailand schreiben, Reiserecht pauken. Das kann man doch gar nicht vergleichen!!!

Mit hochprofessionellen Autoren und Journalisten möchte ich mich gar nicht vergleichen.

Selbstverständlich würde ich jeden Freitagmorgen meine eigene Kolumne im SZ Magazin lesen und mit einem Endlosfrühstück und Bitte um absolute Ruhe zelebrieren. Axel Hackes Kolumnen sind wunderbar unterhaltsam, nachdenklich wie komisch, und vom Autoren vorgelesen noch vergnüglicher. Und wenn solch belesene Käufer großer Tageszeitungen Leser meines Blogs wären und wenn ich eines Tages neben Hubertus Meyer-Burckhardt in der NDR Talkshow sitzen könnte, würde ich mich auch nicht sträuben.

Trotzdem: Das Wichtigste ist für mich, Leser zu unterhalten. Egal, wer meinen Blog liest, ich freue mich, wenn er überhaupt gelesen und sogar kommentiert wird. Leserzahlen, wie ihn Cupcake- und Nagelstyle-Blogs aufweisen, wären toll.

Meine Bloggeschichten sind das Beste aus meinem Leben.
Obwohl, ich glaube, dass das Beste noch vor mir liegt.

Zum Beispiel der Abend, an dem Axel Hacke anlässlich des 10jährigen Bestehens meines Blogs seine Lieblingsgeschichte daraus vorliest.

Bei aller Liebe, aber Wünsche haben darf man ja wohl noch.