26. April 2014

Pomodori turbulenti

Die Tomaten waren köstlich. Ein Hauch von Süße und gleichzeitiger Würze umspielte meine Geschmacksknospen. Mein Freund würde diese getrockneten Cocktailtomaten in Öl lieben. Ich musste sie kaufen. Jetzt. Sofort.

Meine kurze Studienreise durch Apulien hatte meine Gruppe und mich nach Mesagne geführt. Mesagne gefiel mir sofort.

Sehr untouristisch. Das haben wir Touristen ja besonders gern, dass es irgendwo nicht touristisch ist, sondern authentisch. Authentizität ist das A und O beim Reisen. Ich fühle da nicht anders als die Leute, denen ich Reisen verkaufe. 

Zurück zu den getrockneten Cocktailtomaten in Öl.

Die probierte ich bei Terre di Puglia - Libera Terra, einer landwirtschaftlichen Kooperative. Die Sozialkooperative baut Bio-Wein, -Olivenöl und -Gemüse an. Libera Terra bedeutet freies Land.
  
Der italienische Staat hat dieses Land der apulischen Mafia, der Sacra Corona Unita, enteignet und somit engagierten Menschen die Möglichkeit eröffnet, legal Wein und Gemüse anzubauen und zu verkaufen. Der Slogen der Koope-rative heißt mangiare contra la mafia (Essen gegen die Mafia). Meine Reise-gruppe und ich lauschen den Ausführungen eines leitenden Mitarbeiters und der Pressesprecherin. Immer mehr junge Menschen entscheiden sich gegen das organisierte Verbrechen und illegale Arbeit für Mafia-Unternehmen. In Süditalien liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei über 30 Prozent, 16 Jugendliche aus Mesagne und Umgebung als Mitarbeiter zu beschäftigen, ist für Libera Terra mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein.  

Wir durften Fragen stellen.

Haben Sie keine Angst?
Was sagen Ihre Familienmitglieder?
Hat man Sie für verrückt erklärt, als Sie begannen, das Mafialand zu nutzen?
Was kosten diese köstlichen getrockneten Tomaten?

Die Tomaten kosteten 4 Euro. Nicht eben billig, aber Mut und Engagement unterstütze ich gern. Die Mitreisenden kauften ebenfalls fleißig: Artischocken- paste, Oliven, Olivenöl und Wein, von denen einer gerade prämiert worden war. 

Die Frage des sicheren Transports in die Heimat stellte sich nur kurz. Einfach mehrfach in Schmutzwäsche einwickeln und in die Mitte des Koffers packen.  Auf diese Weise hatte ich seit Jahren Weine und Öle aus den Reiseländern mitgebracht. In Düsseldorf angekommen, packte ich die Tüte mit der Schmutzwäsche direkt unten im Hausflur aus. Ich war doch nicht blöd und schleppte alles in den 4. Stock, um einen Teil der Last wieder nach unten zu tragen. Die Wäschetüte brachte ich dann in den Waschkeller und warf schon einmal die erste Maschine an. Oben in meiner Wohnung packte ich den Rest aus. Ha, der kitschig-schöne Küchenmagnet in Form eines weißen Cinquecento würde meinem Lebensgefährten gefallen. Und wenn ich dann noch Pasta mit Pinienkernen, Rucola und den importierten getrockneten Cocktailto...

Ich schluckte.
Mein Teint wechselte ins alpinaweiß.
Porca puttana.

Nach einer kurzen Schrecksekunde keuchte ich vier Stockwerke hinunter in den Waschkeller und schaute durch die Tür meiner Waschmaschine. Die Wäsche (übrigens helle) rotierte wie gewohnt. Und mit ihr rotierten kleine rote Cock- tailtomaten. Sie umspielten nicht meine Geschmacksknospen, sie umspülten unter anderem meine weiße Lieblingsbluse.

Pomodori turbulenti.

Ich fluchte in allen Landessprachen, die mir einfielen und wusste nicht, worüber ich mich mehr aufregen sollte. Über die vermutlich ruinierte Wäsche (ich hatte erwähnt, dass die Tomaten in OLIVENÖL eingelegt waren?), über die vielleicht ruinierte Waschmaschine (die Glasscherben!) oder einfach über die Tatsache, dass ich auf den Genuss des kulinarischen Mitbringsels verzichten sollte.

Erst einmal musste ich das Drama stoppen. Ich hatte noch nie einen Wasch- vorgang unterbrochen, ich hatte zum Beispiel noch nie knallrote Socken mit weißer Kochwäsche gewaschen. Bisher hatte ich als Hausfrau halbwegs ordent- lich funktioniert. Das Drücken verschiedener Knöpfe brachte nichts, da viel mein Blick auf das erlösende Wort Abpumpen. Ich pumpte ab und die Tür meiner Waschmaschine ließ sich öffnen. Direkt vorn an der Tür um das gläserne Rund hingen die Tomaten, die ich nun händisch entfernte. Es roch nach würzigem tomatisierten Olivenöl. Vorsichtig zog ich die Wäsche heraus und entfernte den Deckel des Tomatenglases aus einem BH. Dann entdeckte ich das Glas. Es war heil. Ebenso wie die kleine Flasche Olivenöl noch intakt war, die mir das Hotel als Gastgeschenk gereicht hat. Das Öl hatte ich völlig vergessen. Die eine oder andere Tomate fand ich später im feuchten Wäscheberg.

Die Wäsche wusch ich gleich noch einmal.
Und noch einmal.
Und noch einmal.

Ich bildete mir zwar ein, sie roch immer noch nach getrockneten Tomaten.
Es hätte jedoch schlimmer kommen können, und wie immer ärgerte ich mich über mich.
Aber wie.

Hm.

Eine Bitte hätte ich an Sie.
Wenn wir uns zufällig begegnen und Sie sehen ein Fitzelchen rote Tomatenhaut an meiner Bluse: Sagen Sie nichts. Tun Sie einfach so, als wäre das Fitzelchen nicht da.

Ich gehe jetzt in die Küche und koche etwas.
Etwas Italienisches.

Mangiare contra la figura.