Die Gestaltung der großen Pause war
geklärt. Wir Grundschulkinder waren noch tief beeindruckt von der
Winnetou I – Ausstrahlung am Samstag und wollten die Abenteuer des
Häuptlings der Apachen und seines weißen Bruders Old Shatterhand
nachspielen. Schnell einigten wir uns auf Markus als Winnetou, Holger
als Old Shatterhand. Und ich wollte Nscho-tschi sein.
Blöd war nur, dass Heike, Marijke und Inga
auch Nscho-tschi sein wollten. Sie war bildschön, hatte dicke schwarze
Zöpfe und trug diese feinen weichen Lederkleider mit aufwendiger
Bestickung und Fransen. Außerdem hielt sie sich ständig in der Nähe
ihres Bruders Winnetou und des tollen (weil von den Apachen
akzeptierten) Old Shatterhand auf, in den sie sich schließlich
verliebte. Ich wusste, ich würde eine prima Nscho-tschi abgeben, doch
Heike hatte die größte Klappe und somit das beste Durchsetzungsvermögen.
Sie zeigte auf uns andere Apachenhäuptlingsschwester-Anwärterinnen und
rief: „Ihr seid alle blond, Scho-schi hat dunkle Haare, also bin ich die
Scho-schi, ist doch klar.“ Wir sagten Scho-Schi wie wir Winnitu sagten.
Die Aussprache war nicht wichtig. Das Abenteuer zählte.
Die Besetzung stand. Markus war Winnitu,
Heike Scho-schi. Die große Pause dauerte nur 45 Minuten und wir hatten
schon 10 Minuten mit der Verteilung der Rollen vergeudet. Für das
Winnitu-Spiel gab es kein Skript. Es gab eine Gruppe böser Cowboys, die
freiwillig von ein paar verhaltens-auffälligeren Mitschülern dargestellt
wurden. Diese standen auf dem unteren Teil des Schulhofes, der
normalerweise von den Schülern der B-Klassen genutzt wurde und
versteckten sich hinter Bäumen oder Büschen. Die ehrwürdigen Apachen,
also Winnitu, Olt Schätterhend und Scho-schi (leider dargestellt von
Heike) warteten auf dem oberen Schulhof der alten Grundschule und gingen
langsam von rechts nach links. Vorneweg die drei Protogonisten, gefolgt
von dem Apachen-Fußvolk, zu dem ich zählte.
Ich erinnere mich an das Kribbeln, die
Aufregung in Erwartung des Überfalls durch Sänter und die anderen bösen
Cowboys. Es raschelte hinter den Büschen und irgendwann galoppierte die
Bande hinter uns her. Das Galoppieren imitierten die Jungs durch
Pferdchengalopp und Schlagen auf das eigene Gesäß, so als würden sie die
Pferde antreiben. Gerade als es besonders spannend wurde, die
Bösewichte waren uns auf den Fersen, hatte ich eine Eingebung, rannte
vor zu Winnitu, seinem Kumpel und seiner Schwester und rief: „Halt!“ Das
Spiel wurde, wenn auch ungern, unterbrochen. Die Zeit rannte.
„Wieso kann ich nicht Scho-schi sein, weil
ich blond bin, und Markus ist Winnitu und hat selber blonde Haare?“
Während wir Apachen kurz zusammen grübelten, hatten uns Sänter und seine
Mannen eingeholt und gefangen genommen. Sie trieben uns unter den Baum
zwischen den zwei Treppen, die in die Klassenräume führten, und
bewachten uns. Ich fühlte mich ein bisschen schuldig an unserer
Situation, mein Gerechtigkeitssinn war mir wieder einmal in die Quere
gekommen. „Ich oder Marijke oder Inga, wir hätten alle Scho-schi sein
können. Markus ist blond und spielt Winnitu und Holli spielt Olt
Schätterhend und hat dunkle Haare. Eigentlich hätte Holli Winnitu sein
müssen.“
Ich weiß es nicht mehr genau, aber ich
glaube, meine Mitschüler verdrehten die Augen. Die Lehrerin rief uns
zurück in die Klasse. „Erst muss Jürgen mich noch
erschießen und ich muss sterben“, meinte Heike.
Sie hatte das letzte Wort. Wie immer.
P.S. Pierre Brice ist am 6. Februar 85
Jahre alt geworden. Er sieht immer noch fantastisch aus. Für mich war er
so sehr Winnetou wie kein anderer. Ich wünsche dem Häuptling der
Apachen noch viele gesunde Lebensjahre.
Bild: Metro Cat / fotocommunity