24. Februar 2014
Zehn Tage, drei Länder
Meine Reise erscheint mir im Nachhinein wie in einem Zeitraffer. Asien, immerhin, um genau zu sein Vietnam und Bali, das alles in 9 Tagen plus eine Nacht in Taipeh. Ich knipste mehr als ein Japaner auf einem „Europa in 4 Tagen“ Trip, aus Angst, eventuell zu vergessen, was ich gesehen hatte. Und tatsächlich: Während ich mich auf der Reise im Dauerstress empfand, weil ich acht mal in einen Flieger stieg, sechs mal das Hotelzimmer wechselte, aus eiskalten klimatisierten Hotelrestaurants in eine stickige Schwüle trat, die mir den Schweiß den Rücken heruntertrieb, löst das Betrachten der Bilder zu meinem Erstaunen Ruhe in mir aus. Es war doch schön gewesen in Südostasien. Das Essen war köstlich, die Sehenswürdigkeiten imposant, die Natur so anders als bei uns, die Menschen freundlich. Vielleicht lag es daran, dass ich die Sprache nicht verstand, aber was ich überhaupt nicht vermisste, waren Sarkasmus und Zynismus, die mir in Deutschland tagtäglich begegnen, auch in mir selbst eine leider schon viel zu tiefe Verwurzelung gefunden haben.
Am tiefsten beeindruckt haben mich die Begegnungen mit den Menschen, vor allem mit denen, die uns durch das jeweilige Land geführt haben. Mai, Bang, Bin und Martin, ihnen fühle ich mich zu Dank verpflichtet. Ohne sie wäre meine Reise ein verschwommenes Wirrwarr, ein sich schnell drehendes Karussell an Bildern.
„Ich heiße Mai. Wie der Monat.“ Mai hat uns am Flughafen Hanoi im Norden Vietnams abgeholt und begleitet uns nun ins Hotel. Beim Mittagessen bestellt er sich erst einmal ein Bier. Würde ich in der Mittagshitze ein Bier trinken, müsste ich die Riksha-Fahrt ausfallen lassen. Meine Reisegruppe und ich waren lange unterwegs, ca. 17 Stunden im Flugzeug, in Deutschland ist es jetzt früher morgen. Die Fahrradrikshas bringen uns in die Altstadt von Hanoi. Wummmm, wummmm, huuuup, huuuup, wummmm. Von links und rechts überholen uns die Mopeds. Früher fuhren die Vietnamesen mit dem Rad, erklärt Mai, inzwischen seien die kleinen Motorräder und Motorroller aber bezahlbar. Es würde gern gehupt, um mitzuteilen, dass man angefahren kommt oder überholt. Da das Tausende von Hanoiern gleichzeitig machen, und zwar Tag und Nacht, erschließt sich mir der Sinn nicht. Wahrscheinlich gibt es keinen.
An mir sausen Mopeds mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern plus einem kleinen Hund vorbei. Und da, eines mit drei Schweinhälften beladen. Und dort, eines mit lauter Hühnerkäfigen. Ich muss meinen vor Erstaunen offen stehenden Mund schließen, damit der Straßenstaub und die Abgase keinen unerwünschten Einlass finden. „In Vietnam gilt seit über zwei Jahren Helmpflicht. Theoretisch“, sagt Mai. Während wir am nächsten Tag über fast unbefestigte Schnellstraßen, die sich unser Bus mit Lkws, Radfahrern, Mopedfahrern und auch Fußgängern teilt, zuckeln, erzählt Mai von Land und Leuten. „Einkommen in Vietnam heißt: Hauptberuf plus Nebenberuf plus Nebenberuf."
Ein Lehrer verdient ungefähr 250 US Dollar im Monat, fährt vielleicht noch nebenbei Motorradtaxi. Ein Arzt verdient genauso viel, macht aber noch private Behandlungen. Keine Krankenversicherung in Vietnam. Wer Bargeld hat, wird zuerst behandelt.“ Ich höre keinen Zynismus, keine Wut in Mais Stimme, er berichtet sehr sachlich von den Gegebenheiten. „Hier waren früher kleine Bunker für eine Person. 1,80 Meter hoch, 1 Meter breit mit Reisstrohdeckel. Wenn Bombenangriff, Menschen sind einfach in diese Löcher gesprungen und haben Deckel zugemacht, bis alles vorbei.“ Wir halten an einer Raststätte. „Hier saubere Toiletten. Kostet nichts. Ist ein Geschäft dabei. Sie müssen nichts kaufen. Viele Behinderte arbeiten dort, auch Agent Orange-Opfer. USA zahlt nichts für diese Opfer. Sagen, es war nur Entlaubungsmittel.“ Ich gehe auf die Touristen-Toilette und kaufe eine bestickte Stofftasche.
„Wenn Sie Fragen haben, können Sie mich immer fragen.“ Natürlich will ich wissen, was typisch deutsche Touristen stets wissen wollen. „Wo haben Sie so gut Deutsch sprechen gelernt?“ - „Ich habe hier in Vietnam ein bisschen Deutsch gelernt für ein Austausch-programm mit DDR. Habe im Bunker gelernt, oben Bomben, unten haben wir mit Petro-leumlampen studiert. Die Kirche, die Kirsche, die Kirche, die Kirsche.“ Weil sich Mai zweimal erfolglos zum Militär gemeldet hatte, aber nicht genommen wurde, weil er der einzige Junge in der Familie war, ging er 1972 in die DDR. „Hat 14 Tage gedauert mit Zug. Von Hanoi bis Berlin. War lange Fahrt durch China, Mongolei, Baikalsee. Und habe immer geübt: Die Kirsche, die Kirche, die Kirsche, die Kirche.“ Die deutsche Sprache hat ihm viel Mühe bereitet. Vietnamesich hat Anleihen im Chinesischen, ist eine tonale und monosyllabische Sprache. Das heißt es gibt nur einzelne Silben, ja es heißt sogar Viet Nam. Es gibt fünf verschiedene Betonungen, so dass eine Silbe fünf verschiedene Bedeutungen hat. Die Silbe ba bedeutet zum Beispiel genauso gut die Zahl 3 wie eine Krankheit der Süßkartoffel, je nachdem, wie man es betont.
Ich hätte Mai noch tagelang zuhören können.