13. April 2014

Der Einohrhase


In den Hasen mit den kleinen vorstehenden Zähnchen verliebte ich mich sofort. Er saß zwischen lauter frühlingshaften Dekorationsartikeln im Blumenladen des Düsseldorfer Hauptbahnhofes. Bis zur Abfahrt meines Regionalzuges war es noch ein bisschen Zeit, also betrat ich das Geschäft.

Der Hase hatte etwas Skandinavisches an sich und ein hübsches Gesicht, er war aus zartem Material und sollte wohl als Eierbecher dienen. Gedanklich war er schon meiner, der Hase, trotzdem musste ich noch gucken, was er kostete und drehte das gute Stück um. 9 Euro 90. 9 Euro 90 für einen Eierbecher, das war der Osterhase wert, aber dennoch musste ich überlegen, denn eigentlich nimmt man mindestens zwei gleichwertige Eierbecher, besser noch vier, falls mal Besuch zum Osterfrühstück kommt.

Ich stellte den Hasen wieder zwischen die anderen Dekorationsartikel, was er mir offensichtlich übel nahm. Er kippte um und blieb auf der Seite liegen, und als wäre meine Unachtsamkeit nicht schlimm genug, war dem Hasen auch noch ein Ohr abgebrochen. Das rechte. Ich schaute zur Verkäuferin, die mich nicht wahrgenommen zu haben schien. Ich nahm den Hasen und das abgebrochene Ohr und ging zur Kasse. Man muss zu seinen Fehlern stehen. Ja, das muss man.

Der jungen Verkäuferin erklärte ich mein Hasenmalheur. Sie reagierte kaum, sondern rief ihre Chefin an, um um Rat zu bitten. Ein wenig unruhig blickte ich auf meine Uhr, noch fünfzehn Minuten bis zur Abfahrt meiner Bahn. Hoffentlich entstanden jetzt keine unfrohen Diskussionen. Ich rechnete damit, dass ich den Hasen zahlen und sah mich bereits unendlich viele Formulare für meine Haftpflichtversicherung ausfüllen. Während die junge Frau ihrer Chefin den Sachverhalt sachlich erklärte, schaute wieder auf meine Uhr. Noch zwölf Minuten. "Meine Chefin sagt, das ist zwar nicht schön, dass Ihnen das passiert ist, aber es ist schon in Ordnung so."

Ich strahlte. Ehrlich währte eben doch am längsten. Ich musste den kaputten Hasen nicht zahlen. Hurra.

Gerade als ich auf dem Absatz kehrtmachen und Richtung Gleis gehen wollte, sah ich, wie die Verkäuferin den Hasen in Papier wickelte und auf den Papierkorb zuging, der neben der Kasse stand. Eine plötzliche Trauer umfing mich. Ich hatte mich ungeschickt angestellt und der Hase kam in den Müll. Einfach so.

"Moment", ich ging zurück zur Kasse, "warten Sie. Ich nehme den Hasen für 4 Euro, ist das okay?"

"Sie wollen den Hasen für vier Euro kaufen?"


"Ja, das will ich."


"Das Ohr lässt sich aber nicht mehr kleben, schauen Sie, da ist ein Stückchen weggebrochen und das ist ganz feiner Gips."

Ich gab der Verkäuferin die vier Euro, ließ mir den Hasen mitsamt dem rechten Ohr einpacken und rannte zum Gleis. Während ich im Zug einen Fensterplatz einnahm, stieg eine Welle des Glücks in mir auf. Ich hatte den Hasen, den ich wollte. Den Hasen mit seinem kleinen vorstehenden Zähnchen und dem hüb- schen feinen Gesicht, na gut, ein wenig lädiert, aber das tat meiner Liebe zu ihm keinen Abbruch. Die Perfektion ist erdrückend. Das hatte ich in einem Eric Rohmer Film erfahren. Und was für eine schöne Französin galt, galt auch für meinen Einohrhasen.


Als ich abends wieder zuhause eintraf, stellte ich meinen neuen Dekorationsartikel und Freund auf einen Beistelltisch und legte das abgebrochene Ohr daneben.



Dann dachte ich, dass es für den Hasen doch furchtbar sein musste, sein fehlendes Ohr neben sich liegen zu sehen. Das Loch an der Stelle, wo das Öhrchen normalerweise befestigt sein sollte, würde mich außerdem immer wieder an meine Tolpatschigkeit erinnern.


Ich grübelte eine ganze Weile und hatte dann die rettende Idee: Einen Kopf- verband, der das Loch abdeckte. Das abgebrochene Ohr legte ich in den Becher hinter den Hasen, so dass das Gliedmaß aus seinem Gesichtsfeld geriet.


Einohrhasen haben auch Gefühle.




Ich finde, der Hase guckt jetzt recht zufrieden.

Und ich erst.


:-)