Es liegt bestimmt daran, dass ich im
Moment so viel um die Ohren habe. Im Januar haben
Reisebüromitarbeiter immer viel um die Ohren, denn da kommen alle
auf einmal und wollen ihren Urlaub buchen und der Chef/die Chefin
genehmigt den wann? Genau, im Januar. Diese Buchungen sind die
Grundlage der Existenz meines Arbeitsplatzes, deshalb will ich nicht
jammern, sondern mich freuen. (Die Autorin strahlt und frohlockt) ICH
FREU MICH!!!
Nun gibt es gewissen Eintrübungen
meiner Freude, nicht nur während meiner Arbeitszeit, sondern auch
davor und danach. Aber das ist (die Autorin schlägt sich mit der
rechten Faust in die Herzgegend) ALLES MEINE SCHULD, MEINE EIGENE
SCHULD. Ich höre extrem gut, vor allem Dinge, die ich nicht hören
will. Die Jungens mit Auswanderungsgeschichte (Migrationshintergrund
sagt man nicht mehr, sagt der Förderschullehrer meines Vertrauens)
der Bahn. Der eine zum anderen: „Hey, am Wochenende kommt meine
Cousine, Alter. Nach zwei bis drei Wodka Red Bull macht die alles,
mach die dir klar, Alter.“ Meine Magensäure steigt an. Hirn an
Faust, Hirn an Faust: Ausfahren. Es kostet mich sehr viel
Anstrengung, mich nicht in das Gespräch einzumischen. Oder
vorgestern Morgen. Ich warte in der Altstadt auf meine Straßenbahn
Richtung Arbeitsstätte. Die kommt laut Anzeige in 6 Minuten. „Ihr
Trümmerfotzen“, tönt es hinter mir und ich drehe mich um. Ein
Mann, dessen Kleidung sicher irgendwann einmal recht elegant war, nun
aber deutliche Spuren der Abnutzung aufweist. „Ihr Trümmerfotzen.
Ficken und gefickt werden, das ist alles, was ihr könnt.“ Ich sehe
auf den Anzeiger. Es dauert immer noch 6 Minuten, bis meine Bahn
kommt. „Ihr seid das Ergebnis von schmutzigem Sex. Ficken und
gefickt werden. Abspritzen und Eisprung haben euch zu dem gemacht,
was ihr seid. Am besten, ihr erledigt euch selbst. Am besten, ihr
vergast euch.“
Noch 5 Minuten. Ich drehe mich um und
schaue mir den Mann noch einmal an, dessen Weisheiten alle Menschen,
die vielleicht wie ich noch nicht gefrühstückt haben und nun auf
ihre Füße starren oder flehentlich in die Richtung blicken, aus der
die Bahn kommt, so als würde dieses Flehen das Erscheinen selbiger
beschleunigen. „Jaaaa, ficken, mehr könnt ihr nicht, ihr Fotzen.“
Hm, ich könnte die Polizei anrufen. Kurz überkommt mich der Scham
des Sichspießigfühlens und der Ordnungshörigkeit, da wird hinter
mir weiter proklamiert. „Erledigt euch selbst, ihr, die ihr nur aus
Sperma entstanden seid.“ Der Prediger rotzt im hohen Bogen seinen
Auswurf über seine dreckige Sporttasche. Nun lauter: „Ihr
Trümmerfotzen, ihr seid es nicht wert zu existieren, vergast euch
selber.“ Ich bekomme unbändige Lust, den Mann zu schlagen, richtig
einen auf seine Brille. Stattdessen sage ich halblaut: „Halt die
Fresse.“ Die Frau, die neben mir vorgibt ein Buch zu lesen, schaut
auf und lächelt leicht verzweifelt in meine Richtung. Auf dem
Anzeiger steht die Bahn kommt. Sofort. Die Bahn kommt aber nie
sofort, wenn ich sie dringend bräuchte. Sie kommt immer nur dann
sofort, wenn ich ein wenig verspätet zur Haltestelle jogge und sie
mir vor der Nase wegfährt. „Nichts weiter als ein Klumpen Schleim
seid ihr gewesen, entledigt euch eurer selbst.“
Ist es ein Wunder, dass immer mehr
Ipod-Autisten unsere Welt bevölkern und laute Musik durch ihre
Mikro-Kopfhörer jagen?
Samstags oder sonntags gehe ich
schwimmen. Der Schulter wegen und damit sie nicht versteift. Leider
muss ich mich auch am Wochenende manchmal aufregen. Es ist aber (die
Autorin schlägt sich erneut mit der Faust in die Herzgegend) MEINE
SCHULD, MEINE EIGENE SCHULD. Ich könnte ja einfach schwimmen, auch
um die Gruppe Senioren herum, die im Wasser stehen und quatschen. Sie
machen Politik. Der Steinbrück, der Gierschlund, und der Brüderle
und, noch schlimmer, die Journalistin!!! Warum, warum nur kann ich
das nicht einfach ignorieren, mich freuen, dass die alten Menschen
sich hier im Schwimmbad treffen und sich unterhalten, statt in einem
Café? Stattdessen führe ich innere Monologe. „Aha, erzählt ihr
später zu Hause, ihr seid schwimmen gewesen? Ihr schwimmt gar nicht,
ihr stellt euch in Badebekleidung ins Wasser, quatscht und versperrt
Schwimmwilligen wie MIR die Bahn!“ Ich weiche freundlich aus ins
Nichtschwimmerbecken, wo mir ein Kind eine grüne Schwimmnudel auf
den Kopf haut. Süüüüß, der Kleine. (die Autorin lächelt ihr
schmerzverzehrtes Lächeln, obwohl sie gern die Nudel entwenden
würde).
Ich weiß, was Sie denken. Unentspannt,
die Frau ist total unentspannt. Die braucht dringend Urlaub. Sie
haben ja sooo Recht. Das Problem ist, dass im Urlaub andere Urlauber
sind. Die, die vom Oberkellner einen tiefen Hofknicks erwarten, weil
sie sich schon zum ZWEITEN MAL herabgelassen haben, dieses Hotel
aufzusuchen. Die, die ganz laut verkünden, dass es im Hotel XY
letztes Jahr ein wesentlich umfangreicheres Dessertbuffet gab und das
man von dem nur 3-Meter-langem in dieser Unterkunft enttäuscht, ja,
richtig-gehend enttäuscht sei. Es müsste meiner Ansicht nach viel
mehr Amokläufe in Hotels als in Schulen geben. Ich nehme an, es
werden regelmäßig Deeskalationsschulungen durch-geführt.
(Autorin schnauft, sie schnauft viel in
letzter Zeit, vor allem, wenn der Lebens-abschnittspsychologe ihr
mitteilt, sie solle das alles entspannter sehen, dann wird die
Autorin zum HB-Männchen).
Ich habe ehrlich Angst um mich. Und um
alle, die zur falschen Zeit am falschen Ort das Falsche sagen.
Eine einsame Almhütte wäre schön.
Ein ruhiger gemütlicher Platz auf einem schönen Fleckchen Erde und
nix drum herum außer Natur. Wie, das Klo ist draußen? Wie, ich muss
mich in einer eiskalten Quelle waschen?
IHR HABT SIE WOHL NICHT MEHR ALLE!!!