Mein Vater Hermann kochte Ende der 50er
Jahre in der winzigen Küche des D-Zuges von Dortmund nach Wien
Kaiserschmarrn und Tafelspitz. In Passau wurden die D-Mark Einnahmen
verblombt, das Personal wechselte. Nur mein Vater, der kochte über
die damals noch existierenden Landesgrenzen hinweg. Und Horst
Hoffmann aus Leipzig, mit dem mein Papa sich angefreundet hatte,
kellnerte auf der gesamten Strecke. „Der Hoffmann war gutaussehend
und charmant und der fröhlichste Mensch, dem ich je in meinem Leben
begegnet bin. Er begrüßte die Gäste durchs Mikrofon und sagte:
`Guten Tag, meine Dame und Herren, ich hoffe Sie sind heute mit der
linken Rheinseite zufrieden.´ Die Zuggäste applaudierten dann
immer.“
Spätabends, so gegen halb 11, kam der
Zug am Wiener Westbahnhof an. Von dort aus fuhren Hermann und
Hoffmann, der Zugkellner, mit der Straßenbahn zum
„Glockner-Stüberl“, einer Gaststätte, in der die Deutsche
Bundesbahn Zimmer für die Angestellten angemietet hatte. Die
Bediensteten teilten sich 4-Bett-Zimmer und natürlich wurde für
diejenigen, die die Tagesschicht beendet hatten, nicht extra die
Bettwäsche gewechselt. „Die Betten waren quasi immer warm“,
sagte mein Vater, „aber wir waren sowieso so müde, das war uns
doch egal.“ Der Schaffner, der die Billets in der Tram vom
Haupt- bahnhof zur Haltestelle beim „Glockner-Stüberl“ verkaufte,
kannte meinen Vater und den Hoffmann bereits. „Ah, da seid´s ihr
ja wieder, hobt´s ihr endlich Feierabend?“ Eine elegant gekleidete
Dame mit schwerem Gepäck stand etwas ratlos im Wagon. „Aaaah, die
Frau Komtess, küss die Hoand. Nach voarn, bittä, die Frau Komtess,
nach voarn.“ Hermann und Hoffmann standen der Frau im Weg und so
flüsterte der Tramschaffner ihnen zu: „Nun losst amol die Fregottn
vorbei.“
Das Verhängnisvolle an der
Schlafstätte über dem „Glockner-Stüberl““ war die Gaststätte
unter dem Zimmer und der Bierausschank. „Heute gehen wir nicht da
rein“ hatten Horst und Hermann sich schon am Morgen vorgenommen.
„Wir gehen direkt aufs Zimmer und schlafen und sparen unser Geld.“ Nun, am Abend, hatte sich die Meinung
geändert. „Komm, Hermann, auf ein Bier, dann schläft es sich
besser“, lockte der Hoffmann und mein Vater überlegte nicht lang.
Natürlich trank man, bis die Schänke schloss, und wie viele
Gasthäuser in Bahnhofsnähe schloss sie spät. Der Rausch am
nächsten Morgen währte lang. Zu lang. Mein Vater, der Koch, und
Hoffmann, der Kellner, verschliefen. Der D-Zug in die Gegenrichtung
war ohne die beiden losgefahren. Die jungen verschlafenen Burschen
gerieten in Aufruhr. „So schön waren wir ja nicht, dass der Zug
auf uns wartete.“ Sie hatten die Generalschlüssel zur Küche, zur
Speise- und Kühlkammer und zum Getränke- lager. Es war klar, dass
die Zuggäste im Speisewagen nicht versorgt werden konnten. Das
würde Ärger geben.
Die Zuggäste auf der Strecke Wien
Westbahnhof – Dortmund bekamen auf ihrer Reise nichts zu essen und
zu trinken. Sie saßen an Tischen ohne Tischdecken und spielten
Karten, um sich die Zeit zu vertreiben. „Heutzutage wären wir
sofort unseren Job losgewesen. Wir bekamen damals drei Wochen
Berufsverbot. Das bedeutete, dass mein Vater und der Hoffmann drei
Wochen keinen Pfennig verdienten.
Ob die beiden danach jemals wieder das
„Glockner-Stüberl“ betraten, weiß ich nicht.
Ich werde meinen Vater gleich mal
anrufen und ihn fragen.