Die Welt wird immer
bekloppter
Um das zu begreifen, muss man
keine Nachrichten schauen und über das große Ganze sinnieren, da guckt man
einfach mal in seinen eigenen persönlichen Alltag.
Voilá:
"Haben Sie Ihre Payback-Karte
dabei?"
Ich wühle in meinem
Portemonnaie und irgendwo zwischen EC- und Visa-Karte, dem Weight
Watchers-Mitgliedsausweis, der Friseur-Bonuskarte, dem Gildepass für die
Düsseldorfer Prorammkinos, dem Abholzettel für die Reinigung, dem Ticket für die
Rheinbahn und der Bahncard 25 finde ich die blaue Karte, mit der ich Punkte
sammeln kann und halte sie der Frau an der Kasse hin.
Ich habe 45 Minuten
Mittagspause und habe mich ausgerechnet an der Kasse mit der langsamsten
Kassiererin angestellt, weil ich nicht aufgebe, ihr eine Chance zu geben.
Freundlich ist sie ja. Und als ich endlich am Zug bin und die Waren über den
Scanner gezogen werden, fragt mich die Kassiererin:
"Möchten Sie Ihre
Payback-Punkte direkt einlösen?"
"Ach nö", sage ich. "Ich
sammel lieber noch ein bisschen."
"Wenn Sie die Payback-Punkte
heute einlösen, erhalten Sie Samstag zwischen 10:00 und 10:35 Uhr 5 Prozent
Rabatt auf unser Weihnachtsgebäck mit Haltbarkeitsdatum bis Ende 2015."
Legen Sie mich nicht auf diese
Aussage fest, jedenfalls sagt sie etwas ähnlich Kompliziertes, während ich meine
Waren einpacke, damit das hier mal voran geht. Die Suche nach der Payback-Karte
hat mich wertvolle fünf Minuten gekostet, die Schlange hinter mir ist not
amused.
"Nein, danke
schön."
"Aber wenn Sie einen
Großeinkauf für Weihnachten machen, das lohnt sich doch!"
Herrje. Kein Wunder, dass das
so lange dauert, wenn ich mittags einkaufe, nun müssen die Frauen und Männer an
der Kasse einem mitten im Zahlvorgang noch irgendwelche Deals unterjubeln und
fragen, ob man Punkte sammelt für die WMF-Kochtöpfe. Ich habe keine Zeit,
darüber nachzudenken, welche Vorteile diese Aktionen haben. Und Lust sowieso
nicht.
Ich will bei Mc Paper an der
Kasse auch keinen Glitzerstift oder No Name-Klebestifte oder Klebebänder, die
zwar preiswerter sind als die Markenprodukte, mich aber später zuhause in den
Wahnsinn treiben, weil sie nicht ordentlich kleben. Ich will das alles nicht.
Weil es mich und meine Mitmenschen Zeit und somit Nerven kostet. Immerhin
bekomme ich auch hier ein höfliches "Nein, danke" hin. Darauf bin ich ein
bisschen stolz.
Nach der Mittagspause geht es
weiter mit dem Wahnsinn.
Die PCs arbeiten sehr langsam oder gar
nicht. Leider kommt es sooft vor, dass die Kunden dies mit "Ach, schon wieder?"
oder "Liegt das an mir, jedes Mal, wenn ich bei Ihnen bin, haben Sie technische
Probleme?" kommentieren. Server runter- und hochfahren ist in Fleisch und Blut
übergegangen wie Atmen. Der Zugang zum Server geht nur mit einem persönlichen
Passwort, das wir aus Sicherheitsgründen sehr häufig ändern müssen.
Das mit den Passwörtern ist
schwierig.
Es begann mit Lieblingsreisezielen,
stimmungserhellenden Nomen wie "Sonnenschein", "Urlaub", "Strand" oder eigenen
Spitznamen oder denen des Partners.
Das reichte aber nicht aus, um sicher zu
sein.
Bitte nutzen Sie eine
Buchstaben-Zahlen-Kombi mit mindestens 8 Zeichen, mindestens einem
Großbuchstaben und einem Sonderzeichen.
Also benutzen wir den Vornamen der Mutter
plus der Schuhgröße des Bruders plus einem Fragezeichen.
Oder den Ort in der Bretagne, der uns im
Sommer so gut gefallen hat plus dem Alter des ältesten Kindes der Kollegin plus
einem Ausrufezeichen.
Oder den Namen des Ortes, in dem man
aufgewachsen ist, plus das Todesjahr von Steve McQueen plus
Dollarzeichen.
Oder das Kennzeichen des Wagens, den man
von 1991 bis 1994 gefahren hat, plus die letzten sechs Stellen der
Sozialversicherungsnummer.
Je abstruser, desto sicherer, desto
besser.
Nun ist das Ende der
Kreativitätsfahnenstange allmählich erreicht. Denn:
Bitte nutzen Sie keines der letzten 10
genutzen Passwörter.
Geben Sie das Passwort erneut
ein.
Es gibt Tage, da komme ich vor lauter
Haareraufen nicht zum Tippen.
Wir brauchen Passwörter für den Server,
das Midoffice-System, in dem wir die Vorgänge verwalten, und eines für die
Zeiterfassung. Mal abgesehen von Passwörtern für das Extranet und das
Bestellwesen.
Ohne den Zugang zum Server läuft gar
nichts, logisch.
Fluchen, jammern, mit dem Kopf auf die
Schreibtischplatte hauen, bringt nichts, wie wir nach mehreren Selbstversuchen
feststellen konnten.
Manchmal hat man den Server hochfahren
können, kommt aber nicht ins Verwaltungssystem, hat dann keinen Zugriff auf die
Kundendaten.
Die Kollegin, deren PC reibungslos läuft,
wird gleichermaßen gehasst und bewundert. Gern wird mal ein "also, meiner läuft"
in die Runde geflötet und ein "schön für dich" zurückgeknurrt.
Eigentlich haben wir Kolleginnen uns aber
sehr lieb.
Deshalb helfen wir uns, wenn gar nichts
mehr geht.
Neulich sagt Kollegin 1 zur Kollegin
2:
"Ich komme hier nicht weiter. Kannst du
mir mal dein Passwort sagen?"
Kollegin 2, die gerade eine Kundin
bedient, wird ein bisschen rot und windet sich.
"Bitte, ich kann sonst nicht
weiterarbeiten, du kannst dir doch sofort ein neues holen!" (Passwörter an die
Kollegin weitergeben ist bei Todesstrafe verboten, der Datenschutz!)
"Das geht jetzt nicht", zischt Kollegin 2
durch die geschlossenen Zähne Kollegin1 zu.
"Ich komme beim HelpDesk nicht durch, nun
hilf du mir doch bitte."
Kollegin 2 schreibt etwas auf einen
Notizzettel und reicht ihn der verzweifelten Kollegin 1. Kollegin 1 grinst und
zeigt mir den Zettel.
Darauf steht: AmArsch3!
Kein "Sonnenschein15?", kein
"Hasimaus75%".
AmArsch3!
Ein rüder Ton hat Einzug in unsere
Passwörter-Welt gehalten.
Mich wundert das nicht.
In "AmArsch3!" steckt der ganze Frust der
Userin. Die Systeme laufen nicht und dann sollst du dir dauernd leicht zu
merkende, aber trotzdem unverwechselbare Log-ins ausdenken.
Als die Kundin das Büro verlässt, sagt
Kollegin 2: "Ich konnte dir doch nicht das Passwort zurufen!" Kollegin 3 sagt:
"Meins kann ich dir auch nicht laut sagen."
Kollegin 2 ändert ihr Passwort
sofort.
Ich möchte nicht wissen, wie das neue
heißt.
Darf ich auch gar nicht.
Aber feststellen, dass die Welt immer
bekloppter wird, das darf ich.
:-)