21. April 2017

Systemausfall

Gestern.

Frau Meyer hetzt in der Mittagspause mit der U-Bahn ins Stadtzentrum.
Wobei hetzen gar nicht geht, weil die U-Bahn nicht kommt. Es gibt einen düsseldorfweiten Systemausfall der elektronischen Anzeigen an den Gleisen und den Bahnen und sonst läuft auch nichts so richtig.

Am Gleis stehen viele Menschen, die wie ich auf das Eintreffen eines Zuges in die Innenstadt warten, es werden immer mehr. Ich schreibe eine Whatsapp an den Liebsten. Meine Kopfschmerzen vom Morgen sind immer noch nicht weg. Und als wäre das noch nicht genug, geht eine Frau in meiner Nähe recht hektisch auf und ab. So nah und so hektisch, dass ich aufschauen muss.

Das Alter der Frau ist schlecht einzuschätzen. Der Gelbstich ihrer miniplierten Haare und der dunkle Schatten eines Damenbartes verraten die unechte Blondine. Das Gesicht ziemlich faltig, hellblauer Lidschatten, silberne Brille. Der Körper ziemlich schlank, dabei ein recht beachtlicher Bauch. Bei einer jüngeren Dame hätte ich auf den fünften Schwangerschaftsmonat getippt. Die Kleidung ist sehr 80er. Knallblaue Pumps, eine verwaschene helle Jeans mit hoher Taille, darunter ein blauer sehr enger Body (für die Herren: eine Art Turnanzug mit Druckknöpfen im Schritt). Insgesamt eine auffällige Erscheinung. Deshalb verweilt mein Blick vielleicht ein paar Sekunden länger, als dass man von einem Streifen meines Blickes reden könnte.
Die Frau mit der filzigen Dauerwelle (ich will nicht mehr sofort bewerten, sondern wahrnehmen, aber bei dieser Trulla geht das nun wirklich nicht) geht weiter auf und ab und während ich mich wieder dem Liebsten per Whatsapp zuwende, bleibt sie auf meiner Höhe stehen und zischt:

"When I call the CIA, they will immediately come and kill you. They will kill you, I swear." 

Ich stutze und bin der Meinung, dass diese 'Agentin' doch unmöglich mich meinen kann, wo ich immer so nett zu allen bin, dass mir mein Ex-Freund schon vor 20 Jahren mit der Äußerung "Du bist die uneheliche Tochter von Mutter Teresa und Adolph Kolping" mein Gutmenschentum bescheinigte. Dennoch gucke ich mir die Frau noch einmal genauer an, überlege, ob ich nicht was Lustiges antworten soll ("I will call the fashion police and they will put you immediately into jail!"), doch das wäre nicht nett und fällt mir auch erst später ein, nämlich jetzt, wo ich diesen Text schreibe. Die Blonde geht - langsamer nun - rechts ab. Ich blicke auf die Bahnanzeige. Da steht aber nichts. Systemausfall.

Die Frau mit der verwaschenen Jeans dreht sich um und schlendert in meine Richtung. Ich fühle mich unwohl. Auf dem Bahnsteig wird es voller. Vielleicht ist der 5.-Monat-Bauch aus Dynamit. In der heutigen Zeit des Terrors, der Messerstecher und Äxteschwinger fällt es mir schwer, sorglos pfeifend irgendwo herumstehen. Außer vielleicht im heimischen Wohnzimmer.

Nun bleibt die dauergewellte Agentin vor mir stehen, ich schaue angestrengt auf meine Schuhe, ein Blick in ihre Augen könnte sie provozieren. Im Tempo von Schwarzeneggers "Hasta la vista, baby!" sagt sie

"Thank you, CIA!" 

Just in diesem Moment fährt die U-Bahn ein. Thank you, Rheinbahn!
Jetzt hetze ich, und zwar in einen anderen Wagen als die unheimliche Frau, die offenbar auch an einem Systemausfall leidet.

Ich habe sie trotzdem ausführlich beschrieben (siehe oben).

Man weiß ja nie.