4. November 2017

Odenwald


Meine Freundin J., ihr Mann J. und ihr Sohn J. nutzen das lange Luther-sei-Dank-Wochenende für einen Kurzurlaub mit dem Wohnmobil.

„Wo geht es denn hin?“ frage ich.
„Ach“, sagt Freundin J., „wir fahren in den Odenwald.“ Und zwar sagt sie das mit einem abwinkenden Tonfall, so als sei eine Fahrt in den Odenwald ein bisschen peinlich.
„Wieso? Ist doch bestimmt schön.“
„Ja, Odenwald halt.“

Ich kann dazu nicht viel sagen, ich kenne den Odenwald nicht. Nur vom Hörensagen, und eigentlich nur aus dem Blauen Bock.

Man hat ja so seine Assoziationen zu Regionen.

Immer, wenn ich Harz höre, denke ich Brocken.

Wenn jemand den Spessart erwähnt, denke ich Wirtshaus.
Die Pfalz erinnert mich an guten Weißwein.
Bei Schwarzwald denke ich an einen Spaziergang um den düsteren Mummelsee mit meinem ersten Freund.

Bei Westerwald an ein Eukalyptusbonbon.
Bei Franken an Lothar Matthäus.

Und bei Odenwald denke ich eben an Zum Blauen Bock.

In der, besonders in den 60er und 70er Jahren äußerst beliebten TV-Sendung besang Moderator Heinz Schenk Playback im Vorspann die Gastgeberstadtstadt der Unterhaltungsshow. Es gab quasi ein Regionsvideo von Herrn Schenk, gedreht an verschiedenen Schauplätzen rund um Sulzbach, Neckarsteinach oder Bad König im besagten Odenwald. In vielen der - nach eigenem Bekunden – über eintausendsiebenhundert selbstkomponierten Lieder war man entweder zu Gast, wurde willkommen geheißen oder gab sich ein Stelldichein. Meist trug der Komponist und Moderator Schenk verschiedene historische Kostüme und Kopfbedeckungen und/oder Pagenkopfperücken und textete Wissenswertes über die Umgebung zu einer ewig gleichen Marsch-Melodie. Da durfte sich im Falle des Odenwald-Songs auch schon mal König auf König reimen.

In der TV-Schankwirtschaft Zum Blauen Bock waren neben Heinz Schenk die Frau Widdin (Wirtin) alias Lia Wöhr und der Oberkellner Herr Nonsens Gastgeber und Scherze-Sparringspartner. Musikalische Sketche mit Prominenten wie Ruth-Maria Kubitschek und Günther Schramm sowie Auftritte von Operetten- und Opernstars sorgten für hohe Einschaltquoten. In der nachgestellten Äppelwoi-Kneipe bekamen die TV-Zuschauer nicht nur ordentlich was auf die Ohren, die teilnehmenden Gäste bekamen auch einen Bembel geschenkt. Als Dankeschön und zur Erinnerung.

Jetzt fragen sich Menschen, die nach 1975 geboren sind, nicht ganz zu Unrecht: Wie konnte man sich als Kind für ein solches TV-Format begeistern, in dem Erwachsene zu "Im weißen Rössl am Wolfgangsee" schunkelten?

Nun, um ehrlich zu sein: Ich war gar nicht begeistert, ich empfand die Live-Sendung vom Hessischen Rundfunk sogar als ziemlich langweilig. Es gab Sänger und Sängerinnen, die waren gefühlt jedes Mal im Blauen Bock zu Gast. Willy Schneider, Anneliese Rothenberger, Erika Köth und Rudolf Prack schienen in der Pappkulisse des Blauen Bock zu wohnen und hatten in ihren Partykellern bestimmt keinen Platz mehr für Bembel. 


Operetten waren schon damals nicht meine bevorzugte Musikrichtung, aber wir zogen uns die "Christel von der Post" und stimmungsvolle Trinklieder über den Rhein rein. Es gab einen Mangel an Alternativen.

Wir hatten ja tv-technisch nüscht, nur drei Programme, alle öffentlich-rechtlich. Mit Ansagerinnen, aber ohne doofe Werbeunterbrechungen. Klementine, Frau Sommer und Herr Kaiser von der Hamburg-Mannheimer warben vor oder nach der jeweiligen Sendung.


Heute musst du einen Festplattenrecorder haben, damit du ja nichts verpasst, während du auf vierzig Sendern rumzappst oder eine DVD guckst. Damals hieß das Prinzip: Hauptsache, die Glotze flimmert. 
Egal, ob der Internationale Frühschoppen (Journalisten weltbekannter Zeitungen qualmten sich gegenseitig voll und tranken Wein aus dem Römer, während sie das Weltgeschehen diskutierten), Der große Preis, Die Sendung mit der Maus oder Erkennen Sie die Melodie? (ein Opern- und Operetten-Quiz mit Ernst Stankowski) ausgestrahlt wurden: Wirklich dümmer wurden wir nicht durch das Fernsehen.

Ich war zum Beispiel noch nie im Odenwald, weiß aber, dass Michelstadt und Bad König im Odenwald liegen, nur weil Herr Schenk diese Orte in einer Blauer Bock-Ausstrahlung Playback besungen hat.

Vielleicht sollte ich doch einmal dorthin fahren.
J.s Mann J. hat mir per Whatsapp ein Foto geschickt.



Sieht doch ganz hübsch aus.