"Tschüss, ich bin weg."
"Ich hab dich lieb."
"Muss los, ich bin spät dran."
Die Tür fällt ins Schloss. Bine hört Simons Schritte, die immer leiser werden. Sie haut ihre rechte Faust mit voller Wucht gegen den Türrahmen. Das tut weh und es ist ihr egal, ob die Nachbarn sie hören.
Ihr Hals schmerzt. Bine hat frei und könnte endlich mal zum Arzt gehen. Die Vorstellung, mit 20 Leuten im Wartezimmer zu sitzen und den bakterienverseuchten Lesezirkel zu lesen, hält sie davon ab. Die lesbische Apothekerin kann sie ebenso gut beraten und ihr sündhaft teures Zeugs verkaufen. Sie macht sich einen Kaffee, setzt sich im Nachthemd an den Küchentisch und blättert in der Zeitung von gestern. Sie zieht an der Zigarette. Simon mag es nicht, wenn sie in der Wohnung raucht, aber das ist ihr egal.
Der Aschenbecher quillt über. Müsste dringend mal geleert werden. Und die Fenster, die wollte sie schon vor zwei Wochen putzen. Bine hat als Kind immer auf verdreckte Autoscheiben Sau geschrieben. Oder Wasch mich. Der Anrufbeantworter blinkt, gestern Abend hatte sie ihn nicht mehr abhören wollen. "Ja, ich bin´s. Lebst du noch?" Klick. Ihre Mutter. Bine hatte sie ohnehin gleich anrufen wollen. Heute hat sie frei und könnte in Ruhe mit ihr sprechen. Ihre Mutter wird ihr nicht glauben, dass sie sowieso mit ihr telefonieren wollte.
Bine holt sich noch einen Kaffee, inhaliert tief und drückt die Zigarette aus. Asche fällt auf den Küchenfußboden, den sie dringend mit diesem Mittel putzen muss, das ihre Kollegin ihr empfohlen hat. "Da glänzt der Boden, du glaubst es nicht!" Bine erinnert sich an die Werbung vom General, in der der smarten blonden Frau plötzlich uniformartige Schulterklappen an die weiße Bluse fliegen und in der sie zur zackigen Marschmusik die Wohnung binnen Minuten auf Hochglanz bringt.
Sie pfeift den Marsch und geht mit der Winnie-the-Pooh-Kaffeetasse in ihrer Küche auf und ab. Ihre Brüste wippen und der Hintern wackelt mehr als er sollte. Abnehmen muss sie. Bald. Als sie an der Tür vom Balkon steht, sieht sie die bekloppte Nachbarin von gegenüber winken. Abrupt bleibt Bine stehen. Sie winkt kurz zurück. Neulich hat die Nachbarin ihr bei kaiser´s ihr halbes Leben in 10 Minuten erzählt. Da muss sie wohl zurückwinken.
Sie geht in das Wohnzimmer und räumt die Weinflasche und die leere Flasche ab. Das mit dem Trinken muss sie auch dringend einschränken. Das tut ihr nicht gut. Bine wählt die Nummer ihrer Eltern. Papa ist dran, mit seiner leisen brüchigen Stimme, und sagt seinen Standardsatz auf. "Mama ist nicht da." Papa telefoniert nicht gern. Sie muss ihn unbedingt besuchen. Wenn ihm was passiert, wird sie sich Vorwürfe machen.
Das Telefon klingelt. Bine geht nicht dran. Sie will keine Flatrate mit noch schnelleren DSL-Anschluss. "Fisch", sagt sie. "Ich werde Fisch kaufen." In letzter Zeit spricht Bine laut statt leise zu denken. Das bereitet ihr ein wenig Kopfzerbrechen. Sie geht auf den Markt und schlängelt sich an den Ständen vorbei. Sie sieht Pärchen mit ihren reisenthel Einkaufskörben, mit Labrador oder Kind. Bine geht zu ihrem Lieblingsgemüsestand, sie mag die Verkäuferin mit den kurzen grauen Haaren, und kauft drei Limetten, kleine Kartoffeln und Chilischoten. Danach am Nachbarstand viel zu teures Fischfilet.
Zu Hause wäscht sie behutsam den Fisch unter fließendem kalten Wasser und trocknet ihn mit Küchenkrepp. Sie zieht zwei, drei große Gräten aus dem weißen Fleisch. Dann verteilt sie Limettensaft, streut Salz und Pfeffer über das Filet. Während die kleinen Kartoffeln mit Schale in wenig Wasser und Meersalz kochen, hackt sie eine Chilischote klein. Ganz vorsichtig. Als sie die Butter in der Pfanne zerlässt, hört sie den Schlüssel in der Tür. Sie setzt den Fisch in die Pfanne, es zischt. "Hallo". Simon ist zurück, küsst kurz ihren Nacken und schaut über ihre Schulter. Bine schabt mit einem Messer die Chilischote über das Fischfilet. Die kleine Schärfe beißt in ihren Augen. Sie gießt eine halbe Dose Kokosmilch nach und schüttet die Kartoffeln ab. Im Hintergrund raschelt Simon am Küchentisch mit der Zeitung von heute. Es riecht nach Urlaub.
Sie wirft die Reste der Chilischote in den Mülleimer. Der Duft von Limetten strömt Bine entgegen. Und in diesem Moment ist sie glücklich.