Ich bin heute wieder Zug gefahren. Allerdings nur von Düsseldorf nach
Essen und nach einem Meeting von Essen nach Düsseldorf zurück. Kurze
Strecke, kurzer Artikel, ist ja logisch. Mein Regionalzug ist mir vor
der Nase weggefahren, und weil ich nicht auf den nächsten Regionalzug
warten will, gönne ich mir ein Intercity-Ticket. Blöd nur, dass dieser
wiederum soviel Verspätung hat, dass ich genauso gut die nächste
Regionalbahn hätte nehmen können. Ich bin an einem Punkt, wo mir das
Denken schwer fällt. Sagen Sie mal, sind Sie auch so matschig im Kopf
bei diesem feuchtwarmen Wetter? Ich könnte den ganzen Tag schlafen. Das
teure Ticket ist bereits gezogen, also nehme ich auch den teuren Zug und
hoffe, dass dieser nicht so voll ist.
Pustekuchen. Es ist ein
Tag vor einem Feiertag, da sind alle Züge voll. Ich finde einen Platz in
einem Großraumwagen mit ziemlich vielen Kindern. Als ich sitze und der
Zug losfährt, ahne ich, dass die Verfügbarkeit des Platzes in direktem
Zusammenhang mit den minderjährigen Mitreisenden steht. Den ziemlich
vielen Kindern ist ziemlich langweilig, weshalb sie ziemlich laut sind.
Besonders lebhaft gebärdet sich Marlon. Erst sehe ich ihn gar nicht,
dafür höre ich seine Mutter: „Marlon, Marlon! Komm bitte wieder hierher
und setz dich neben mich. Marlon, nein, du gehst nicht in den anderen
Wagen, bleib hier. MARLON!“ Ein Baby schreit, ein größeres Mädchen steht
auf dem Sitz und schaut sich die Erwachsenen an, die tumb auf die
Bildschirme ihrer Laptops starren. Plötzlich steht ein kleiner süßer
dunkelblonder Junge mit einem hellblauen Comic-Shirt vor dem Platz einer
ernst dreinschauenden älteren Dame mit schwarz gefärbtem Haar und sieht
sie sich eine Weile an. Die ältere Dame liest weiter in ihrem Buch,
schaut nicht auf, sagt nichts. Der Kleine ist circa 2 Jahre alt, aber da
verschätze ich mich gern mal. Er läuft sehr gut, vor allem seiner Mama
weg, über die Sprachentwicklung kann ich allerdings nicht viel
berichten. Meistens lacht er.
Der Zug hält in Duisburg. Marlon möchte gern aussteigen und versucht dies auch.
„Marlon,
Marlon. Du kommst sofort zu mir. Geh aus der Tür. Komm hierher.
MARLON!“ Die Mutter steht auf und schleift ihren grinsenden Spross durch
den Gang zurück zu seinem Sitz. Zwei Minuten später steht Marlon wieder
vor der Frau mit den schwarz gefärbten Haaren, die ihn wieder nicht
beachtet. Ich frage mich, woher Kinder diese unbändige Energie hernehmen
und woher die Mütter die Nerven. Der kleine Junge sagt nun „Hallo“ zu
der lesenden Frau, lacht und küsst sie – wie durch eine spontane
Eingebung – auf ihr Knie. Da die ältere Dame auch darauf nicht reagiert,
vermute ich, dass sie während dieser Reise ihre letzte angetreten hat.
„Marlon,
komm jetzt bitte. Lass die Leute in Ruhe. MARLON!“ Der Kleine dreht
sich um, sieht mich, feixt und küsst ebenfalls mein Knie. Ich sage: „Du
bist ja vielleicht lustig. Küsst hier einfach so rum. Gibt’s dich auch
in größer?“ Kaum ausgesprochen, steht ein vielleicht fünfjähriger Junge,
höchstwahrscheinlich Marlons Bruder, wie aus dem Nichts neben mir und
küsst meine Wade (ich habe immer die Beine übereinander geschlagen, ja,
ich weiß, dass man das nicht tut, weil das zu Krampfadern führt). Nun
traue ich mich nicht mehr die „Gibt´s dich auch in größer?“-Frage zu
stellen. Wer weiß, wohin das führt? Marlon küsst noch fröhlich den Arm
der Mitreisenden schräg vor mir, da erhebt sich seine Mama von ihrem
Platz und fängt ihn wieder ein.
Weil ich am Düsseldorfer
Hauptbahnhof ausgestiegen bin, weiß ich nicht, ob Marlon und sein Bruder
weitergeküsst haben. Ich fand die ganze Knutscherei irgendwie
merkwürdig. Aber erscheint einem bei diesem feuchtwarmen Wetter nicht
alles ein wenig diffus?
Im Nachhinein habe ich das Gefühl, mir das alles nur eingebildet zu haben.
Eine Knutschi Morgana. Oder so.