Meine Freundin Martina und ich haben
uns zum Kölner Weihnachtsmarkt verabredet. Jaja, ich kann sie vor
meinem geistigen Auge sehen, die Düsseldorfer Naserümpfer. „Wieso
fährt die nach Köln, wir haben einen schönen Weihnachtsmarkt
mitten in der Stadt?“ Die Düsseldorfer Naserümpfer wissen nicht,
dass Martina in Euskirchen lebt und wir uns in Köln entgegenkommen.
Sie wissen vielleicht auch nicht, dass ich zugereiste Düsseldorferin
bin und deshalb die Düsseldorf-Köln-Fehde allenfalls augenzwinkernd
unterstütze. Jeder Jeck is anders, sag ich immer.
Ich habe ein klitzekleines
Pünktlichkeitsproblem, deshalb habe ich mir einen Zug aus- gesucht,
der eine Viertelstunde vor Martinas Eifel-Express am Kölner
Hauptbahnhof ankommt. Ein Blick auf die Zuganzeige im Eingangsbereich
des Düsseldorfer Hauptbahnhof bestätigt es wieder: Meistens kann
ich gar nichts für meine Unpünktlichkeit. Mein Zug hat 25 Minuten
Verspätung! Hektisch überfliegt mein Blick den gelben Fahrplan am
Gleis. Ha, da geht noch ein anderer Zug nach Köln-Deutz, von dem aus
könnte ich notfalls ze Foß zum Hauptbahnhof jonn. Er fährt in zwei
Minuten, ich hetzte die Treppe (na gut, Rolltreppe) zum Gleis hoch
und springe in den Großraumwagen. „Lange keinen Sport mehr
getrieben“, deutet mir meine Schweratmigkeit. Egal. Ich sitze.
Das Schöne am Bahnfahren ist, dass man
aus dem Fenster schaut, Landschaften vorbei, ziehen sieht und seine
Gedanken schweifen lassen kann. Ich brauche keine Musik aus dem Ipod
(liegt zu Hause), ich kann auch so abschalten. „Nächster Halt:
Neuss Hauptbahnhof“. Neuss? Wieso Neuss? Der Regionalzug fährt
normalerweise über Benrath und Langenfeld und Leverkusen. Es gibt
eine S-Bahn-Strecke zwischen Düsseldorf und Köln, die Fahrt dauert
EWIG, die bin ich in umgekehrter Richtung schon einige Male nachts
gefahren, als nichts anderes mehr fuhr. Hilfe.
„Nächster Halt: Holzheim“ Ich ahne
bereits, dass ich nicht – wie geplant – binnen 30 Minuten am
Kölner Hauptbahnhof ankommen. „Nächster Halt: Kapellen.“ Die
Bahn zuckelt weiter und ich ärgere mich jetzt schon über mich
selbst. Neben klitzekleiner Unpünktlichkeit ist Unkonzentriertheit,
zum Beispiel beim Lesen eines Fahrplans eine weitere Schwäche von
mir. „Nächster Halt: Grevenbroich“
Diese Fahrt wird EWIG dauern, das weiß ich nun. Mist, ich habe noch
nicht mal was zum Lesen dabei. Ohne Lesestoff halte ich maximal 30
Minuten aus und wenn ich den richtigen Zug genommen hätte.Für
meine Unterhaltung sorgen stattdessen drei Kinder im Alter von circa
12 Jahren. Zwei Jungs und ein Mädchen. Der Kleine mit dem dunklem
Flaum auf der Oberlippe ist der Chef. Das Mädchen deutet auf ihn und
sagt: „Ey, der ne, der schlägt Mädschn. Echt, Alter.“ Das Kind
mit dem Fastschnäuzer sagt stolz: „Ja, Alter, klar schlagisch
Mädschn. Und alte Leute.“ Na, bravo. Solche Kids fehlen mir noch
zu meinem Zugfahrtglück. Weiter geht die Unterhaltung der „Kinder“.
Junge: „Du kannst mir mal einen blasen.“ Mädchen: „Ey, komm,
verpiss disch, Mann. Du fuckst misch total ab.“ Wieso habe ich
meinen Ipod vergessen? Leider kann ich nicht weghören. Es geht
mindestens noch eine Viertelstunde so: „Verpiss disch.“ - „Fick
disch.“ - „Verpiss disch.“ - „Fick disch.“
Die junge Frau, die den Kindern
gegenüber sitzt, starrt konzentriert in ihr Buch. Die älteren
Zuggäste um mich herum rutschen unruhig hin und her. Ab und zu hör
ich ein
„Ach, Gott“ oder ein „Herrje“. Als das
hochqualifizierte Gespräch der Kids eine gewisse Dezibelzahl
überschreitet, reicht es mir endgültig. Ich stehe auf, mache mich
größer, als ich ohnehin schon bin und sage ziemlich laut: „Hey!
Geht das hier auch leiser? Ihr nervt total!!!“ Der Chef mit dem
Bärtchen guckt auf seine Knie und murmelt „Ja, ja“. Ich setze
mich wutschnaubend auf meinen Platz zurück. Die Unterhaltung wird
tatsächlich etwas leiser, aber leider kann ich das „Fick disch“
immer noch hören. Die Bahn fährt im Schneckentempo durch lauter
Dörfer. Gutsdorf, Frimmersdorf. Paffendorf. Quadrath-Ichendorf. Ich
sehe aber gar keine Ortschaften, nur neblige Felder und
Bahnhofsschilder. In Horrem steigt die wohlerzogene Brut endlich aus
dem Zug, nicht ohne an meine Scheibe zu klopfen und sich freundlich
mit Stinkefinger zu verabschieden.
Martina simse ich, dass ich nicht weiß,
ob und wann ich heute noch in Köln eintreffen werde und dass ich
gleich anfange vor Wut zu heulen. Fahre seit über einer Stunde durch
ein mir völlig unbekanntes Gebiet. Können die Kölner mir doch
gleich sagen, dass sie mich nicht haben wollen. Drecksköln.
„Nächster Halt: Köln-Ehrenfeld.“
Köln-Ehrenfeld. Ehrenfeld, wie der Stadtteil von Köln? Köln wie
die Domstadt Köln, in der seit nunmehr einer Dreiviertelstunde meine
Freundin aus Euskirchen wartet? Ich schluchze leise auf und simse:
„Fast da.“ Eine Viertelstunde und eine tröstende Umarmung später
gehe ich mit Martina die Treppe zum Dom hinauf. Ich brauche einen
Glühwein und eine belgische Waffel. Zur Beruhigung. Und nach einer
weiteren Stunde finde ich, dass Köln einen wirklich hübschen
Weihnachtsmarkt hat, vor allem den am Altermarkt.. Als es dunkel
wird, leuchten die Lichter in den Baumkronen. Schön.
Für die Rückfahrt kaufe ich mir in
der Bahnhofsbuchhandlung etwas zum Lesen. Vorsichtshalber. Ich bin
übrigens in den richtigen Zug gestiegen. Die Erftbahn über
Paffendorf, Frimmersdorf und Gutsdorf fährt eine Minute später am
gegenüberliegenden Gleis los. Aber dieses Mal bin ich
hochkonzentriert.