Ach, hätte ich mir doch die richtige Relaxhose bei Tchibo gekauft.
Dann wäre ich jetzt entspannter.
Neulich im Januar:
Ich stöberte in einer Filiale des großen deutschen
Kaffeerösters und hielt ein Stück Wellnessbekleidung in meinen Händen: eine
anthrazitfarbene Relaxhose. So stand es auf der Packung: Relaxhose.
Die fühlte sich kuschelig an und war so preiswert, dass
ich lieber nicht über das Herkunftsland nachdenken wollte. Ich musste dringend
herunterkommen, wie sollte mir das gelingen, wenn nicht mit dieser Hose. Die
Kassiererin bestätigte mir meine Wahl mit den Worten: „Ja, die ist toll. So
bequem, wir haben uns die auch alle gekauft.“
Da ich in Tchibo-Filialen niemals etwas anprobiere,
entschied ich mich für Größe M. M wie müsste passen.
Zuhause zog ich die wollige Wohlfühlhose an und stellte
fest, dass sie an mir wie Größe S saß. S wie spack.
Ich ging dann in eine andere Filiale, um die Hose
umzutauschen.
Juchu, da hing sie in allen Größen. Mangels Brille kniff
ich die Augen zusammen, griff nach L (L wie lässig) und zahlte.
In unserer Wohnung warf ich die Quittung und die Verpackung
direkt in den Müll und die Hose in die Waschmaschine. Als ich Tage später ein
dringendes Bedürfnis nach kuscheliger Homewear verspürte, zog ich die Relaxhose
über. Die saß extreeem lässig.
Ich stellte mich im Profil vor den Spiegel im Flur und
hielt den labberigen Bund weit von meinem Bauch entfernt. So weit weg wie
Günter Strack in der Slim Fast-Werbung. Ein entspanntes Gefühl stellte sich in
dieser Relaxhose nicht ein. Wie konnte das denn sein, dass M so eng und L so
weit saß? Ich schaute auf den Zettel in der Hose. XL. XL wie xtreme lose.
Kassenbon und Verpackung waren im Altpapiersack
verschwunden, jener bereits entleert. Für die Altkleidersammlung war mir die Hose
zu neu. Es gab nur eine Lösung: Verschenken.
Wie Sie hier sehen, erfreut die Hose einen hochzufriedenen Herrn, der in der Kuschelhose relaxt. Es ist K.*, der Ehemann
meiner lieben Kollegin H.* (*Namen sind der Autorin bekannt)
Schön, nicht wahr?
Eine herrlich harmlose und doch irgendwie lustige
Geschichte, die längst veröffentlicht werden sollte.
Doch dann kam der Virus dazwischen.
Als es losging, war ich – auch ohne Relaxhose – recht entspannt,
empfand die Posts auf Facebook so einseitig wie panikartig. Ein Facebook-Freund
schrieb: „Haben wir kein anderes Thema mehr, es nervt!“
Ich war kurz davor, die Tchibo-Geschichte per Entertaste
der Leserschaft zur Verfügung zu stellen. Da stiegen die Zahlen der Infizierten
und der Toten, vor allem in Italien und Spanien, aber auch hier bei uns in
Deutschland.
Der Ernst der Lage wurde mir so richtig bewusst, als alle
meine geplanten Veranstaltungen, wie Konzertbesuche und Lesungen, abgesagt wurden.
Die Fußballfans beklagten die Geisterspiele in den sozialen Medien, ohne zu
wissen, was da noch alles auf uns zukommen sollte.
Kontaktsperre.
Klang sehr schlimm.
Ist schlimm.
Ist schlimm.
Vor allem für die, die alt, krank und allein in
Seniorenheimen, Krankenhäusern oder zuhause sind.
Das Abstandhalten von 1,5 Metern zum Nächsten bereitet
bis heute vielen Menschen Probleme. Ich habe eine ungefähre Idee, woran das
liegen könnte…
Die Themen Hamsterkäufe und Klopapiermangel möchte ich nur
kurz anreißen. Sie sind in Whatsapp, GIFs und Filmchen mannigfaltig und mindestens vierlagig verarbeitet worden. Ich gebe aber zu, dass ich
zuweilen doch noch lachen kann, wenn die Verarbeitung gelungen ist.
Im Rahmen der tagtäglichen medialen Hirndurchspülung mit dem
C-Thema sah ich kürzlich eine WDR-Dokumentation über die Opfer der Krise. Ein
Betreiber eines Imbisses in W. warb damit, dass er zum gelieferten Essen ab
einem Bestellwert von 30 Euro statt der üblichen Lambrusco-Plörre 8 (in Worten acht)
Rollen Klopapier verschenkt. Not(durft) macht erfinderisch.
In Anbetracht der Tatsache, dass sich in meinem Viertel
Omas mit Rollator, Mundschutz und Einweghandschuhen in eine lange Schlange
stellen müssen, um an wenigen Tagen in der Woche diesen begehrten
Hygiene-Artikel zu erlangen, empfinde ich diesen Werbe-Gag einfach nur als
Sch..ße.
Manchmal jammere ich auch einfach.
Darüber, dass ich nicht in den geplanten Urlaub fliegen
kann.
Dass meine Mutter ihren 75. Geburtstag nicht im Kreis
ihrer Familie feiern konnte und Ostern auch nicht besucht werden kann.
Über meinen Job. Hauptberuflich in der Touristik tätig zu
sein, hat mir schon mal mehr Spaß gemacht. Dass unsere Kunden in ihren
Urlaubsorten festhingen, die Telefonate mit nachvollziehbaren Sorgen und
Fragen, die Unwägbarkeit der Situation – das habe ich in 29 Reisebürojahren so noch nicht erlebt.
Mein schon vor Jahren entwickelter Plan B, eine Comedy Pommesbude mit Kollegin H.*
(*Name ist der Autorin bekannt), der Frau von dem Mann mit der Relaxhose, wäre derzeit auch kein Renner. Gastronomie zählt nicht zu den Top-Verdienern während
der Krise.
Ja, manchmal jammere ich und hätte gern eine gut sitzende
Relaxhose für mein Hirn.
Bis mir wieder einfällt, dass ich auch an einer
Supermarktkasse sitzen könnte und mich von Kunden anblaffen lassen muss. So wie
neulich bei EDEKA, wo eine schmallippige (es sind immer die schmallippigen,
nicht wahr?) Frau um 08:05 Uhr ausflippte.
„Wo ist der Ingwer? Nirgendwo ist Ingwer!!!“
„Entschuldigung“, sagte die beeindruckend freundlich
gebliebene Kassiererin, „Sie sehen doch, dass vier meiner Kollegen gerade die Wagen
mit den Waren abladen, das dauert noch ein bisschen.“
Ich sah die hysterische Kundin die Wagen absuchen.
Wie ein Junkie auf Entzug.
Ich fragte mich, auf welchem Rang der überlebenswichtigen
Lebensmittel Ingwer wohl steht.
Kassiererin könnte man sein. Oder alleinerziehende Mutter von drei Kindern im Home Office. Oder chronisch krank.Oder Krankenschwester. Oder
Altenpflegerin. Oder Arzt in Bergamo. Oder Erzieherin von Kindern in einer
Notbetreuung.
Es hilft, sich das vor Augen zu führen, um festzustellen,
dass die eigenen Herausforderungen machbar sind.
Hände waschen, Klinken und Schalter mit
Desinfektionsmittel absprühen, Einkaufen mit Einmalhandschuhen und Mundschutz
(mache ich inzwischen, obwohl ich mir immer noch behämmert vorkomme) – das alles
geht doch.
Und was auch noch geht: Das schöne Wetter genießen, auf
den sorglos dahinfließenden Fluß schauen, spazierengehen und radfahren, Gymnastik-Tutorials
auf Youtube gucken und sogar mitturnen, meditieren, lesen, telefonieren,
whatsappen, etwas Leckeres kochen…
Ich hatte neulich ausnahmsweise einmal keine Lust, das
Essen selbst zuzubereiten, und aß die zweitschlechteste Currywurst mit Pommes
meines Lebens. Den ersten Platz der schlechtesten Currywürste meines Lebens wird unangefochten und vermutlich auf ewig jene auf der Düsseldorfer
Osterkirmes in 1995 innehaben.
Wie auch immer, ich koche wieder selber.
Ich habe darüber hinaus festgestellt, dass es dem Hirn
gut tut abzuschalten, über einen sehr albernen Film mit Louis de Funès (fast
alle auf Youtube zu finden) lauthals zu lachen oder für einen Moment einmal an
fast gar nichts zu denken. Gerade dann entsteht Kreatives.
Mein Freund und ich haben, seitdem uns COVID-19
beschäftigt, eine feine „Wie nennt man/wie heißt…?“ Challenge ins Leben
gerufen, zu der wir niemanden nominieren, außer vielleicht uns selbst.
1Wie nennt man einen ausschließlich von Herren
geführte Ladenkette für Pflanzen?
2.Wie heißt die Heavy Metal-Band, die wegen
COVID-19 nicht auf Tournee gehen kann, zuhause sitzt und zuviel Frittiertes und
Süßes futtert?
3.Wie heißt das Mittel, mit dem besonders
Putzwütige während der Corona-Krise ihre Wohnung bearbeiten?
4.Wie nennt man Literatur mit unglaubwürdigem
Inhalt?
Na, haben Sie eine Idee?
Falls nicht, finden Sie die Antworten am Ende dieses
Blogs. :-)
Ich vermisse Vieles aus meinem alten Leben ohne C., den
direkten Kontakt zu meinen Freunden, meiner Familie, das Ausgehen, das Stöbern in Geschäften, das unter-Menschen-Sein,
die albtraumlosen Nächte, das Reisen (ja, auch die Zugfahrten), die Museen, die Kinos.
Eines weiß ich ganz gewiss: Wenn es jemals wieder
möglich ist, das alles wieder zu dürfen, dann freue ich mich wie ein Kind, das eine ganze Nacht bei Toys ´r us verbringt, dann freue ich mich wie
Bolle, der jüngst zu Pfingsten (und hoffentlich spätestens dann) nach Pankow
reist.
Ich wünsche allen meinen Leserinnen und Lesern ein wirklich schönes Osterfest, auch wenn es vielleicht nicht perfekt wird.
Auch nicht perfekt: Der Einohrhase |
Und hier die Antworten auf die obigen Fragen:
1. BLU MEN GROUP
2. SPECKXON
3. AGGROTAN
4. HANEBÜCHER