27. April 2023

Einfach tot stellen

Wenn ich alte Blogs von mir lese, komme ich zu dem Schluss: Die besten Geschichten sind die, die ich geschrieben habe, als ich richtig sauer war. Da nehme ich den heutigen Tag doch gern zum Anlass, einen Text zu verfassen. 

Ich habe nämlich sooo einen Hals.

Heute Morgen wartete ich auf einen Handwerker. Es handelt sich um einen sehr netten Herrn. Leider ist er völlig chaotisch. Gespräche verliefen bisher wie folgt:

Er: "Das mit der Stufe zum Balkon haben wir schnell erledigt, das dauert maximal 30 Minuten."

Ich: "Schön. Wann könnten Sie das denn machen? Mein Freund und ich sind berufstätig, ich muss spätestens gegen 8 Uhr 50 aus dem Haus. Kriegen Sie das vorher hin?"

Er: "Hm. Diese Woche ist es schlecht, da sind wir in Meerbusch unterwegs."

Ich: (Achtung, Fehler!!!) "Es eilt ja nicht. Wie sieht es denn nächste Woche Dienstag oder Mittwoch morgens aus?"

Er: "Ich habe jetzt meinen Terminkalender nicht dabei. Ich rufe Sie heute Abend an und gebe Ihnen Bescheid."

Der Maler ruft nicht an. 

Stattdessen meldet er sich zehn Tage später morgens um 9 Uhr 30. Ich befinde mich am Arbeitsplatz. "Hallo Frau Meyer, ich könnte so in einer Stunde bei Ihnen sein und das mit der Stufe erledigen." - "Das ist schlecht, ich bin im Büro, mein Lebensgefährte auch. Ich hatte Ihnen ja gesagt, wir sind berufstätig und müssen zumindest ein, zwei Tage vorher wissen, wann Sie kommen. Wie sieht es denn nächste Woche aus?"

Er: "Ja, da muss ich heute Abend in meine Terminplaner gucken. Ich rufe sie an."

Er ruft nicht an.

Vorgestern fragt er mich, ob ich gestern mittags zuhause wäre. Da könnte er.

Ich wiederhole den Hinweis auf meine Vollzeitberufstätigkeit.

Er: "Ja, dann komme ich am Donnerstag."

Ich: "Bitte früh, ich muss allerallerspätestens um 9 Uhr gehen."

Er: "Okay, kein Problem."

Raten Sie, wer heute Morgen ab 7 Uhr mit geputzten Zähnen und vollständig bekleidet in der Küche saß, um dem Maler keine Mitfünfzigerin mit Stormschlagfrisur im Schlafanzug zu präsentieren?

Raten Sie, wer nicht kam und auch nicht Bescheid sagte, dass er nicht kommt?

Raten Sie, wer nicht telefonisch erreichbar war?

Meine fahrstuhlseildicke Halsschlagader pochte, als ich mit wehendem Haar meine Wohnung verließ.

Die Ader pocht in letzter Zeit häufig.

Denn dieser Handwerker ist nur einer von den besonders unzuverlässigen Exemplaren Mensch. Auch Kunden (ja, auch weibliche) lassen mich und meine Kolleginnen immer häufiger hängen.

Neulich: Kundin betritt unser Reisebüro. Meine Kollegin und ich nehmen uns viel Zeit, ca anderthalb Stunden, um unsere Ideen für eine besonders schöne Hochzeitsreise zu sammeln und der Ehefrau in spe zu präsentieren. Wir sagen ihr, wo der Strand auf Mauritius am feinsandigsten ist, warum Hotel A für sie besser geeignet ist als Hotel B. Fragen, ob sie schon einmal an Thailand gedacht hat, dass sie Ausflüge zur Nachbarinsel machen kann, dass sie den einen Ort meiden soll.

Sie ist völlig begeistert und will ihrem zukünftigen Ehemann alles zeigen und sich melden.

Sie meldet sich nicht.

Nach ein paar Tagen fragt meine Kollegin per Mail nach, ob sie schon Zeit hatte, sich mit Ihrem Lebensgefährten die Angebote anzusehen oder ob sie noch Fragen habe.

Keine Antwort.

Wir sind verwundert. Natürlich ist sie überhaupt nicht gezwungen, irgendeine Reise bei uns zu buchen. Aber was ist mit einer kurzen Antwort, meinetwegen auch mit einer Notlüge ("Wir haben uns gegen Mauritius entschieden, wir haben jetzt privat einen Campingplatz in Mecklenburg-Vorpommern gebucht."), einem kleinen Dankeschön für die Beratung? Nüscht.

Kollegin H. berät ein junges urlaubsunerfahrenes Pärchen. Weil es nur noch an jenem Tag einen tollen Rabatt für ein bestimmtes Hotel gibt, schlägt sie vor, eine Reise unverbindlich festzuhalten. "Damit Ihnen der Rabatt nicht verlorengeht." An dem Tag, an dem die Reise zur Festbuchung werden soll, ruft sie beim männlichen Teil des Pärchens an, erreicht ihn nicht. Schreibt eine Mail. 

Keine Antwort. 

Letzten Freitag wurde eine andere Kundin von meiner Kollegin wieder ausführlichst beraten. Sie macht am Samstag einen Termin bei einer anderen Kollegin, den sie Samstagmorgen wegen Erkrankung (immerhin) absagt. Sie möchte am Montag kommen. Zur Frau Meyer. Um 17 Uhr. Der Termin wird eingetragen. 

Stammkunden rufen Montagmorgen an, sie möchten auch gern gegen 17 Uhr von mir beraten werden. Da ich immer noch kein Mittel gefunden habe, das eine Zweiteilung meiner Person ermöglicht, muss ich diesen Kunden leider absagen. Sehr kompliziert wird ein neuer Beratungstermin vereinbart.

Es wird 17 Uhr. Die Dame, die unbedingt einen Termin mit mir wünschte, kommt nicht. Sicher sucht sie noch einen Parkplatz. Es wird 17 Uhr 15. Die Dame erscheint immer noch nicht.


Um 17 Uhr 30 rufe ich sie an und spreche ihr auf die Mailbox. Weil ich nicht zu spießig und vorwurfsvoll klingen möchte, frage ich, ob es sein kann, dass wir den Termin falsch notiert haben. Sie möge sich doch bitte kurz melden. 

Keine Reaktion.

Da viele Menschen niemals ihre Mailbox abhören, schreibe ich noch eine freundliche Mail gleichen Inhalts mit dem Hinweis, dass wir auch gern neue Angebote heraussuchen und mailen können, wenn Sie keine Zeit findet, persönlich zu erscheinen.

Keine Antwort.

Dafür habe ich meine buchungswilligen Stammkunden also weggeschickt.

Ich habe gehört, dass beim Daten Ghosting ein probates Mittel ist, dem Gegenüber mitzuteilen, dass kein Interesse an weiteren Treffen besteht.

Anscheinend hat sich diese unfeine Art auch im Dienstleistungssektor breitgemacht.

Einfach nicht antworten, die Reisebürotussi merkt dann schon, wie ich das meine. 

Sind das dieselben Leute, die Tischreservierungen und Arzttermine nicht absagen?

Wissen Sie, ich gehe erst einmal vom Guten im Menschen aus. Kann ja sein, dass einem eine Verabredung in Vergessenheit gerät. Vielleicht leiden diese Personen an Long Covid oder so. Diese Leute, die sich einfach tot stellen, sind es womöglich. Also tot.

Ich google Traueranzeigen Rheinische Post Namen der Kundin

Es erscheint aber nichts.

Nennen Sie mich naiv.

Schon Anfang der 90er wartete ich in meiner Stammdiskothek im Hochsauerland auf einen jungen Herrn, mit dem sich so etwas wie eine Beziehung anzubahnen schien.

Er kam nicht.

Es war Winter mit Schneewehen und Glatteis. Bestimmt hatte er einen schlimmen Unfall gehabt. Leider gab es noch keine Handys, um den Mann oder wenigstens alle Krankenhäuser abzutelefonieren. Einen Tag später stellte sich heraus: Er war einfach mit seinen Kumpels in einer Dorfkneipe versackt und konnte nicht mehr fahren. Wegen besoffen.

Wahrscheinlich darf ich nichts erwarten. 

Keine Höflichkeit, keine Verbindlichkeit, kein Einhalten von Vereinbarungen. 

Und schon gar keine Dankbarkeit.  

Meine Kollegin Helga empfiehlt Meditation und Bachblüten.

Also mir, nicht den Kunden und dem Handwerker.

Mal gucken, ob es hilft.

Ich halte Sie auf dem Laufenden.